Kollektiv des Roten Buchladens Göttingen

Der Buchladen Rote Straße wurde 1972 gegründet und hatte ihren Sitz viele Jahre in der Roten Straße. Seit 1997 sind sie im Nikolai­kirchhof zu finden, aber sie sind auch weiterhin der Rote Buchladen.

Das Kollektiv des Roten Buchladens Göttingen ist ein linkes Projekt, unabhängig und von einem engagierten Kollektiv betrieben. Auch in ihrem Sortiment unterscheiden sie sich von anderen Buchhandlungen: Klein, aber fein.

Sie setzen sich für ein gut sortiertes und ausgewähltes Programm ein: Es gibt Bücher zu Feminismus und Queerness, Linker Theorie und deren Diskussion, sozialen Bewegungen, Nationalsozialismus und dessen Rezeption, marxistischer Theorie, Kritischer Theorie, Antirassismus und Migration, Anarchismus, Ökonomie, um nur einiges zu nennen. Natürlich fehlt Belletristik aus unterschiedlichen Ländern ebenso wenig wie Krimis und eine Auswahl an kritischen Zeitungen und Zeitschriften.

 

https://www.roter-buchladen.de/ueber-uns

Dschinns

/ 2022

Hüseyin, du bist 59 Jahre alt, die letzten 30 davon hast du in der Metallfabrik gearbeitet. 1971 kamst du, aus einem Dorf im Osten der Türkei, nach Süddeutschland. Du hattest dir ein neues Leben erhofft, ein Zuhause, aber die Einsamkeit blieb. Und du arbeitetest drei Schichten, am Sonntag, an den Feiertagen. Du warst dir nie zu schade, alle Arbeiten, die kein Deutscher machen wollte, hast du übernommen.

Nun bist du in Istanbul, endlich hast du es geschafft, du hast eine Wohnung von deinen Ersparnissen dort gekauft. Die Wohnung in Istanbul soll der langersehnte Ort sein, an dem du Zuhause bist, mit deiner Frau Emine, sie und die Kinder sollen in ein paar Tagen eintreffen.

Das ist der Ausgangspunkt von Fatma Aydemirs Roman, in dem sie ein Bild der Neunzigerjahre in Deutschland komponiert; er ist eine vielschichtige Erzählung von den Sehnsüchten, Gewissheiten und dem Alltag türkischer Migrant*innen, die über das Anwerbeabkommen mit der Türkei in den Siebziger Jahren nach Deutschland gekommen sind, die wieder gehen sollten und wollten und trotzdem blieben, deren Kinder in Deutschland aufwuchsen und dessen selbstverständlicher Teil sie heute sind.

 

 

Warum lesen?

Auch in ihrem zweiten Roman gelingt es Fatma Aydemir, Alltäglichkeiten so eindringlich zu erzählen, dass man am Ende das Gefühl hat, die Romanfiguren tatsächlich kennengelernt zu haben.

Der gemeine Lumpfisch

/ 2023

Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten gewesen, selbst der Pandabär ist ausgestorben. In einer Zukunft, die gleich um die Ecke geschieht, reagiert die Welt auf die katastrophalen Verhältnisse, indem Zertifikate verkauft werden, die dazu berechtigen, Arten vernichten zu dürfen, analog zu den heutigen Zertifikaten zum Kohlendioxidausstoß. In dieser hyperneoliberalen Welt, in der schmackhaftes Essen zum Luxusgut für die Reichen geworden ist und Engländer in finnischen Flüchtlingslagern leben, spielt der neue Roman von Ned Beauman.

Die Protagonistin erforscht den gemeinen Lumpfisch, eine intelligente Lebensform, die vom Aussterben bedroht ist und gerade zufällig ausgerottet wurde. Dabei steht ihr ein Angestellter der für die Ausrottung verantwortlichen Firma zur Seite, der verzweifelt ein letztes Lumpfisch-Exemplar sucht, weil er sich mit Zertifikaten verspekuliert hat. Beide bewegen sich in einer Welt, in der sonderbare Dinge passieren, die jedoch ihre eigene Logik haben, die Logik des Kapitals, das noch vom Sterben der Arten profitiert. Ein Happy End gibt es, wie in der Wirklichkeit, nicht.

 

Warum lesen?

Wer sich schon immer gefragt hat, wieso das Bezahlen für die Erlaubnis, Kohlendioxid in die Luft blasen zu dürfen, etwas mit Umweltschutz zu tun haben soll – und das schon immer bezweifelt hat, für die ist diese bissige Satire genau das Richtige.

Eine Formalie in Kiew

/ 2021

»Mir brauch'n jetzt nür nöch eine arneuerde Gebürdsürgünde un eine Abösdille von Ihn'n.« Das sind Frau Kunzes Worte, Sachbearbeiterin auf der Leipziger Ausländerbehörde, bei der sich Dmitrij eingefunden hat, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Statt Residenzpflicht, die seinen Wohnort innerhalb Sachsens festlegt, Freizügigkeit. Statt der zukünftigen Vermieterin den ukrainischen Pass vorzulegen, die sich daraufhin fast belogen fühlt, als ob er sie durch Sprache und Aussehen habe täuschen wollen, einfach das Papier mit dem Bundesadler auf den Tisch legen. Reisen können in fast alle Länder der Welt! Nun, Geburtsurkunde in Übersetzung, Loyalitätserklärung zur deutschen Verfassung, Einkommensnachweis – alles ist für den Einbürgerungsantrag eingereicht. Außer der noch fehlenden Apostille, in Frau Kunzes Erklärung: Die behördliche Bestätigung einer behördlichen Bestätigung der nächsthöheren Behörde. Wo diese erhältlich ist? Nur in der Ukraine.

 

Warum lesen?

Die autobiografische Erzählung ist unglaublich witzig und unterhaltsam und Dmitrij Kapitelman flicht gesellschaftliche und politische Verhältnisse, sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine ein und verbindet alles zusammen mit seiner jüdisch-ukrainisch-deutschen-Familiengeschichte. Ein Buch, das viel zu schnell ausgelesen ist, sich wunderbar zum Vorlesen eignet und die Leser*innen zum Schmunzeln, Ärgern, Kopfschütteln und Nachdenken bringt.

Eure Heimat ist unser Albtraum

/ 2019

Heimat finden, Heimat haben, heimatlos sein, viele Schriftsteller*innen haben sich schon mit Heimat beschäftigt. Welche Vorstellungen haben wir von Heimat und wer ist eigentlich wir?

Das Buch »Eure Heimat ist unser Albtraum« ist der Widerstand derjenigen, die vom Konzept der Heimat ausgeschlossen werden – und so lautet auch die Widmung der Autor*innen: »Für Uns«. Es beginnt mit einer Einordnung der aktuellen Erweckung des Heimatbegriffs und der damit verbundenen Gefühle und Annahmen. Weiter geht es mit Alltagssituationen, in denen auffällt, dass anscheinend selbstverständlich Menschen davon ausgeschlossen sind, mitgedacht und gemeint zu werden. Die Schlüsse, die die Texte zulassen, sind eindeutig: Die Vorstellung des bundesdeutschen »Wir« ist immer noch vor allem an rassistische Kriterien geknüpft: Aussehen, Sprache, Religion.

 

Warum lesen?

Fatma Aydemir, Max Czollek, Sharon Dodua Otoo, Margarete Stokowski und acht weitere Autor*innen schreiben von Sichtbarkeit, von Arbeit und deren Wert, sie schreiben über Sprache, Blicke, Zuhause und Gegenwartsbewältigung. Es wird deutlich, dass Heimat immer völkisch gedacht und rassistisch genutzt wird – von Nationalist*innen wie von vielen Menschen, die sich für neutral halten und meinen, eine vermeintliche »Mitte« zu repräsentieren.

WTF Berlin

/ 2022

Die Autorin kommt aus Großbritannien und lebt seit 20 Jahren in Berlin. In WTF Berlin teilt sie ihre Beobachtungen aus 20 Jahren in herrlich witzigen, feministischen Texten. Wer bereits »Die schlechteste Hausfrau der Welt« oder ihre Kolumnen im Missy Magazin gelesen hat, weiß bereits, dass Jacinta Nandi so schreibt, dass man das Gefühl hat, neben ihr zu sitzen und ihr zu lauschen, wie sie schnell und schlagfertig mit Worten um sich wirft.

Im Unterschied zu ihren anderen beiden Büchern ist WTF Berlin auf Englisch geschrieben, was aber einen besonderen Reiz hat, wenn sie deutsche Begriffe erklärt. Die Reise beginnt bei »Abendbrot« und hangelt sich das Alphabet entlang wie in einem Wörterbuch: Von »Abtreibung« über »Erziehung« , »Migrationshintergrund«, »Reizwäsche“ und »Spielplatz« bis »Zecke“ und vielen anderen Begriffen dazwischen. Mehrdeutigkeiten, Übersetzungs- und Erklärungsverwirrungen und Entirrungen vom Feinsten! Auch wunderbar zum Vorlesen und Sich-Freuen über Jacinta Nandis Texte, die easy daherkommen, aber der »deep shit« steckt immer mit drin!

 

Warum lesen?

Jacinta Nandi erklärt uns Berlin – aber eigentlich greift der Titel viel zu kurz – sie erklärt deutsche Selbstverständlichkeiten so, dass man einerseits sehr viel lachen muss und sich andererseits fragt, warum zur Hölle einer selbst das bisher nicht aufgefallen ist.

Julian ist eine Meerjungfrau

/ 2022

Das Bilderbuch erzählt von einem kleinen Jungen, der mit seiner Oma unterwegs ist. Die beiden begegnen einer Gruppe Meerjungfrauen in der Bahn, und ab diesem Zeitpunkt wünscht sich Julian zu sein wie sie. Zuhause angekommen lässt er seine Träume wahr werden und sucht sich die passenden Dinge aus Omas Haus zusammen, und er verwandelt sich in eine kleine Meerjungfrau. Stolz geht er, geschmückt mit Omas Perlenkette, langem Haar, Lippenstift und Kleid, auf die Parade der Meerjungfrauen. Das Besondere an diesem Buch, das schon für kleine Kinder ab drei Jahren geeignet ist, ist die reduzierte Sprache, die durch eine wunderschöne Bildsprache von der Verwirklichung von Träumen erzählt.

 

Warum lesen?

Fast alle Personen im Buch sind People of Colour, und so ist das Buch eines der wenigen deutschsprachigen Bücher (aus dem Englischen übersetzt) mit einem Schwarzen Kind als Hauptfigur. Insgesamt einfach wunderschön gezeichnet mit einer empowernden Geschichte, die glücklich macht.

Desintegriert euch

/ 2018

Max Czollek schreibt an gegen das in Deutschland immer weiter nach rechts driftende Klima. Er schreibt aus einer jüdischen Perspektive gegen die Vereinnahmung der Opfer der Shoah durch die Täter*innen und deren Nachkommen, gegen ritualisiertes Gedenken, das oft vor allem den Täter*innen und ihren Nachkommen nützt. »Desintegriert euch!« geht dem Bild auf den Grund, das die BRD von sich selbst entwirft: Das der geläuterten Nation, die gelernt, entschädigt und gutgemacht hat. Er hält dem entgegen, dass nichts wieder je gut sein kann nach Auschwitz. Max Czollek bleibt unversöhnlich und will Rache, sei es auch nur literarisch.

Der Autor schreibt an gegen die »endlich wieder wer sein können«-Rufe auf der Straße bei Sportereignissen, gegen Integrationszwang, Leitkulturgerede und ein nationales Selbstverständnis, das sich anmaßt, Zugehörigkeit anhand völkischer Vorstellungen bestimmen zu wollen.

 

Warum lesen?

Das Buch ist der Aufruf sich zusammenzuschließen und Bündnisse gegen den weiß-deutschen Mainstream zu knüpfen, sich die Erinnerung, die Geschichte und das Gedenken zurückzuholen und diesen nicht den Täter*innen zu überlassen.

Buchcover des Buches Nordstadt.
Buchcover des Buches Nordstadt.

Nordstadt

/ 2022

Nördlich der Autobahn, im Ruhrgebiet, wo sich die Problemviertel befinden, ist der Himmel so grau wie über dem »Sprawl« aus William Gibsons Cyberpunkklassiker »Neuromancer«. Nene, eine junge Frau, hat es geschafft, ihre von Gewalt geprägte Jugend hinter sich zu bringen, und ist Bademeisterin in einem Schwimmbad geworden.

Eines Tages kommt Boris ins Schwimmbad. Er braucht Hilfe beim Schwimmen, und obwohl er nicht wie ein Traummann aussieht und arm ist, schleicht er sich in Nenes Herz und sie in seines. Die Vergangenheit macht ihnen das Leben schwer, ihre Narben jucken, wenn sie sich sehen, und Boris mag sein eigenes Leben so wenig, dass er für Nene ein neues erfindet.

Wenn ein wenig Blau durch den wolkenverhangenen Horizont leuchtet, zerreißt es fast das Herz der Leser*in, doch wenn der Himmel zuzieht, scheint der Riss in den Herzen der beiden irreparabel zu sein. Dennoch sind Nene und Boris keine Abziehbilder des Elends, sondern reale Menschen, die an der Welt zu zerschellen drohen.

 

Warum lesen?

Der schmale Roman wirkt wie ein lyrischer Punksong ohne Gitarren und Noten. In jeder Zeile ist der alltägliche Dreck zu spüren, der ein jedes Leben durchzieht. Der Roman ist ein Aufschrei gequälter Kreaturen, und, wenn nicht Teil der Befreiung vom miesen Elend, dann doch der Versuch, sich von ihm nicht unterkriegen zu lassen und etwas zu verändern.

Die Sommer

Leyla ist das Kind eines ezidischen Vaters, der mit 14 Jahren in die Kommunistische Partei Syriens eintrat, und einer deutschen Mutter. Gemeinsam gingen sie nach München, wo Leyla aufwächst. Jedes Jahr fährt sie mit ihrer Familie in den syrischen Teil Kurdistans, als Kind erlebt sie die Sommer im Dorf der Großmutter, später, als der IS große Teile Aleppos zerstört, betrachtet sie alles fassungslos aus der Ferne. Sie ist zerrissen zwischen Distanz und Verbundenheit mit den Orten ihrer Kindheit – sie kann nicht zusehen, wie ihre deutschen Freundinnen auf Facebook fröhlich Urlaubsbilder posten, während an anderen Orten Tag für Tag so Vieles zerstört wird. Ein Roman über die Liebe zu Orten, die durch Gewalt im Verschwinden begriffen sind, über die Wut und den Schmerz, der sich über Erinnerungen legt, zwischen dem Hier und Dort, dem Vergangenen und der Zukunft.

 

Warum lesen?

Leyla hat viele biographische Parallelen zur Autorin, auch sie verbrachte an der Seite ihrer Eltern viele Sommer in Kurdistan im Dorf ihrer Großmutter, auch das Geburtsjahr der Protagonistin ist an das der Autorin angelehnt. Ronya Othmann erinnert daran, dass wir alle miteinander verbunden sind und somit auch mitverantwortlich sind für die Welt, in der wir leben werden.

Die geheimste Erinnerung der Menschen

/ 2022

Wie der Autor selbst stammt der Protagonist Diégane aus dem Senegal und versucht in Paris sein Glück als Schriftsteller. Dabei stößt er auf Spuren des rätselhaften Schriftstellers T.C. Elimane, der Jahrzehnte zuvor ebenfalls aus dem Senegal nach Frankreich kam und dort einen Roman veröffentlichte. Autor wie Roman sind verschollen – doch durch Zufall kommt Diégane an ein Exemplar des Romans, ist zutiefst fasziniert und gerät auf der Suche nach Elimane in immer tiefere Schichten der Vergangenheit. In verschachtelten Erzählebenen erfährt die Leserin zwar mehr als Diégane selbst, dennoch bleibt vieles ungelöst und im Verborgenen. Ob der Roman vorrangig eine Kriminalgeschichte, eine Abrechnung mit Rassismus, Literaturelite und Kolonialismus, eine unglückliche Liebesgeschichte oder die Suche nach einem Zuhause und der eigenen Berufung auf drei Kontinenten ist, bleibt ebenfalls unklar. Eins wird jedoch deutlich: Ein Leben ohne Bücher und Literatur ist unvorstellbar.

 

Warum lesen?

In Frankreich wurde der Roman mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, es ist das erste Buch Sarrs, das auch auf Deutsch erscheint. Die Verfasserin dieser Zeilen hat die 448 Seiten des Romans an einem Nachmittag verschlungen und kann nur dazu ermutigen, sich ebenfalls in diese Geschichte zu stürzen!

Scheiblettenkind

/ 2022

Mit Ausdrücken wie »Assitusse« wird das Mädchen schon in der Schule von den Kindern aus der Mittelschicht gemobbt und ausgegrenzt. Die Eltern arbeiten und arbeiten, trotzdem reicht das Geld vorn und hinten nicht, in manchen Zeiten nicht einmal fürs Taschengeld. Dazu kommt der soziale Druck der Familie und der Nachbarn. Neben dem Lesen scheint nur Geld eine Möglichkeit zu sein, dem Druck zu entkommen. Früh fängt sie an zu arbeiten. Sie will ins Freibad gehen, hat kein Geld, also arbeitet sie in der Imbissbude und verbreitet überall den Geruch von Frittierfett. Ihre Mitschüler*innen geben beim Kaufen von Pommes entsprechende Kommentare von sich und verziehen die Gesichter. Erst als sie eine Gruppe von Punker*innen kennenlernt, fühlt sie sich dort aufgehoben. Doch auch hier wird klar, dass die anderen aus gut situierten Familien kommen, und in solchen Situationen taucht das Sich-Fremd-Fühlen wieder auf. Das Gefühl der Scham wird sie noch lange begleiten. Sie trotzt all den Widrigkeiten, ist mutig und hat dabei auch ihren Spaß.

 

Warum lesen?

Mir ist bei diesem Buch noch einmal klar geworden, warum ich Graphic Novels so schätze. Die Kombination von Schrift und Bild erzeugt einen besonderen Sog. Die Vermittlung der Inhalte und der Gefühle, etwa als die Heldin in einer Fabrik stundenlang an der Maschine arbeitet, gelingt großartig.

Utopia Avenue

/ 2022

In London pulsiert die Musik. 1967 bringt ein umtriebiger Musikmanager vier Musiker*innen zusammen, die eine Band gründen – Utopia Avenue. Ein Blues-Bassist, ein genial-melancholischer Leadgitarrist mit Stimmen im Kopf, ein Jazz-Drummer und eine Folk-Sängerin, die an Joan Baez erinnert, versuchen sich am Aufstieg in die Charts, ohne sich zu verbiegen. Nach den Mühen der Ebene und einigen Rückschlägen schaffen sie es und produzieren zwei LPs.

Das ist die Basishandlung des neuen Romans von David Mitchell. Es wimmelt von Liedtexten und Gesprächen mit berühmten musikalischen Größen, Konzerte werden beschrieben und Kneipen- und Clubbesuche, und der Geist der 60er durchzieht jede Zeile des Buches. Zugleich wird das Leben der Vier vor ihrem Erfolg geschildert: saufende Väter, eine unglückliche Ehe, traditionelle Rollen, Aufenthalte in der Psychiatrie – wie nebenbei fließen in die Geschichte der Band Anklänge einer Sozialgeschichte der britischen Jahrzehnte vor 1967 ein, die sich auch in den Liedtexten widerspiegeln, die die Musiker*innen schreiben. Wie eine Supernova erleuchtete Utopia Avenue das fiktive Musikuniversum, ähnlich wie Jimi Hendrix das reale, doch mehr als zwei Alben produziert die Band nicht. 1968 ist alles vorbei, der Ruhm verglüht.

 

Warum lesen?

David Mitchell lässt die magische Zeit der späten 60er aufleben, eine Aufbruchsstimmung, die bereits den Keim ihrer Auflösung in sich trug.

Infos zu dieser Liste
Erstveröffentlicht: 17.05.2023
Zuletzt aktualisiert: 17.05.2023