#Klima
Not Too Late. Changing the Climate Story from Despair to Possibility
/ 2023Verzweiflung und Hoffnung
Titel und Untertitel, sollte man meinen, sagen ja eigentlich alles über den prinzipiellen Affekt, den dieses Sachbuch durcharbeitet. In 26 allesamt recht kurzen Kapiteln vermitteln verschiedenste Autor*innen ein Gefühl von Hoffnung ob der Klimakrise. Aber das soll nicht heißen, dass es sich hier leicht gemacht wird. So merkt Solnit in ihrer Einführung gleich an, dass Hoffnung nicht das gleiche wie Optimismus ist, und, vielleicht noch überraschender: dass Hoffnung und Verzweiflung sich nicht ausschließen: »To hope is to accept despair as an emotion but not as an analysis.« Den vielen literarischen Klimadystopien (siehe nächster Eintrag) wird oft vorgeworfen, dass die primäre Emotion, die sie auslösen, wohl eher eine niederschmetternde, politisch deaktivierende Verzweiflung ist. Diese von Solnit sehr klug aufgestellte Zweiteilung von emotionaler und analytischer Verzweiflung zeigt uns, dass das nicht so sein muss: Auch das Gefühl der Verzweiflung kann uns zu einer hoffnungsvollen Analyse bringen. Das Buch produziert diese Zweiteilung konsequent: Julian Aguons Kapitel, dass die Situation zahlreicher vom Klimawandel besonders bedrohten Inseln – von Guam und Kiribati bis nach Fidschi und den Cartaret-Inseln – schildert, macht klar, wie katastrophal für die Bewohner mancher Gebiete der Klimawandel bereits jetzt ist, oder es schon bald sein wird. Aber er schildert auch eindrücklich, welche Strategien und Erfolge die Bewohner*innen dieser Inseln verfolgen und verzeichnen. Und auf Aguons Kapitel folgt eine wahrlich Hoffnung schaffende »ganz und gar nicht vollständige Liste« weltweiter Klimaerfolge. mehr
Eine weitere Intervention, die ich als sehr hilfreich empfinde, kommt von Mary Annaïse Heglar, die eine gute Formel dafür findet, wie es sich anfühlen wird, an einer lebenswerten Zukunft zu arbeiten: »Responding to this crisis is going to have to become part of who we are. All the time. Once you understand that, you understand that this isn’t about climate action at all. It’s about climate commitment.« Es wird ein Teil unseres Wesens sein werden, auf ökologische Krisen zu reagieren, mit ihnen umzugehen. Vielleicht lässt sich damit auch gut der potenzielle Wert von Literatur für die Klimakrise erklären: Sie kann uns bereits jetzt einen Geschmack davon geben, wie sich die Zukunft anfühlen könnte.
Warum lesen?
Das Buch ist primär von Nordamerikaner*innen für eine nordamerikanische Leserschaft geschrieben, versammelt aber dennoch eine enorme Vielzahl an Perspektiven: Policyexpert*innen für Klima und Elektrifizierung, Menschenrechtsanwälte, Lyriker*innen und Autor*innen, und natürlich Aktivist*innen kommen hier alle zum sprechen – von denen nur die wenigstens weiße cis-Männer sind. Die Kapitel sind allesamt short and to the point, fast durchgehend interessant und dabei auch für Laien nie überfordernd.
Der gemeine Lumpfisch
/ 2023Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten gewesen, selbst der Pandabär ist ausgestorben. In einer Zukunft, die gleich um die Ecke geschieht, reagiert die Welt auf die katastrophalen Verhältnisse, indem Zertifikate verkauft werden, die dazu berechtigen, Arten vernichten zu dürfen, analog zu den heutigen Zertifikaten zum Kohlendioxidausstoß. In dieser hyperneoliberalen Welt, in der schmackhaftes Essen zum Luxusgut für die Reichen geworden ist und Engländer in finnischen Flüchtlingslagern leben, spielt der neue Roman von Ned Beauman.
Die Protagonistin erforscht den gemeinen Lumpfisch, eine intelligente Lebensform, die vom Aussterben bedroht ist und gerade zufällig ausgerottet wurde. Dabei steht ihr ein Angestellter der für die Ausrottung verantwortlichen Firma zur Seite, der verzweifelt ein letztes Lumpfisch-Exemplar sucht, weil er sich mit Zertifikaten verspekuliert hat. Beide bewegen sich in einer Welt, in der sonderbare Dinge passieren, die jedoch ihre eigene Logik haben, die Logik des Kapitals, das noch vom Sterben der Arten profitiert. Ein Happy End gibt es, wie in der Wirklichkeit, nicht.
Warum lesen?
Wer sich schon immer gefragt hat, wieso das Bezahlen für die Erlaubnis, Kohlendioxid in die Luft blasen zu dürfen, etwas mit Umweltschutz zu tun haben soll – und das schon immer bezweifelt hat, für die ist diese bissige Satire genau das Richtige.