Der Apfel

/ 1925, überarbeitet 1972

Die Erzählung, 1925 erschienen, ist eine von Fleißers frühen Texten, umfasst nur wenige – vier, fünf – Seiten und dreht sich um einen sehr unscheinbaren Gegenstand, den titelgebenden Apfel. Die Geschichte ist diese: Ein sehr armes Mädchen bekommt unerwartet von einer Freundin zwei Äpfel geschenkt. Einen wird sie essen, den anderen will sie ihrem Freund schenken. Was danach passiert, ist abgrundtief traurig und soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Fleißers transformiert die schöne Geste des Schenkens und Liebens zur bitteren Lektion für das Mädchen: »Man nannte erwachsen, wem ein Licht aufgegangen war über die natürliche Feindschaft unter den Menschen.« Der Apfel der Erkenntnis: Hier schmeckt er sehr bitter.

 

Warum lesen?

Einstiegsdroge: Schon dieser frühe Text offenbart Fleißers meisterhafte Fähigkeit, aus den allerkleinsten Begebenheiten ein Drama existentieller Dimension zu entfalten.

Auf der Liste: Marieluise-Fleißer-Leseliste

Scheiblettenkind

/ 2022

Mit Ausdrücken wie »Assitusse« wird das Mädchen schon in der Schule von den Kindern aus der Mittelschicht gemobbt und ausgegrenzt. Die Eltern arbeiten und arbeiten, trotzdem reicht das Geld vorn und hinten nicht, in manchen Zeiten nicht einmal fürs Taschengeld. Dazu kommt der soziale Druck der Familie und der Nachbarn. Neben dem Lesen scheint nur Geld eine Möglichkeit zu sein, dem Druck zu entkommen. Früh fängt sie an zu arbeiten. Sie will ins Freibad gehen, hat kein Geld, also arbeitet sie in der Imbissbude und verbreitet überall den Geruch von Frittierfett. Ihre Mitschüler*innen geben beim Kaufen von Pommes entsprechende Kommentare von sich und verziehen die Gesichter. Erst als sie eine Gruppe von Punker*innen kennenlernt, fühlt sie sich dort aufgehoben. Doch auch hier wird klar, dass die anderen aus gut situierten Familien kommen, und in solchen Situationen taucht das Sich-Fremd-Fühlen wieder auf. Das Gefühl der Scham wird sie noch lange begleiten. Sie trotzt all den Widrigkeiten, ist mutig und hat dabei auch ihren Spaß.

 

Warum lesen?

Mir ist bei diesem Buch noch einmal klar geworden, warum ich Graphic Novels so schätze. Die Kombination von Schrift und Bild erzeugt einen besonderen Sog. Die Vermittlung der Inhalte und der Gefühle, etwa als die Heldin in einer Fabrik stundenlang an der Maschine arbeitet, gelingt großartig.

Auf der Liste: Lieblingsbücher – Kritische Literatur muss nicht kompliziert sein!

Oder?

/ 2021

Jetzt verstoße ich gegen ein eigenes Kriterium. Dieses kleine, großartige Buch habe ich für eine Moderation gelesen. Aber ich habe es auch für die Moderation vorgeschlagen, denn es ist eines der besten, kleinen, großartigen Bücher, die ich gelesen habe (und darunter sind auch Bücher aus der Zeit, als ich viele Bücher las). Es geht darum um Emanzipation, um eine Odyssee, aber auch darum, dass sich die Romanfiguren ihrer Figurenhaftigkeit bewusst werden und anschließend die Kontrolle über den Text übernehmen.

 

Warum lesen

Lesen für eine einmalige metafiktionale Erfahrung, Witz und Fressen.

Auf der Liste: Fünf Bücher aus den letzten siebeneinhalb Jahren

Ede und Unku

/ 1931/2005

Anfang der 1930er Jahre lernen sich der Arbeiterjunge Ede und das ‘Zigeunermädchen’ Unku auf einem Rummelplatz kennen und werden Freunde. Ede wird in Unkus Familie herzlich aufgenommen. Umgekehrt aber funktioniert das nicht. Edes Eltern verbieten ihm die Freundschaft mit Unku sowie mit seinem Freund Maxe, dessen Vater bei den Sozialisten aktiv ist. Als Edes Vater arbeitslos wird, erklärt Maxes Vater den beiden Jungen mit einer Parabel die Gründe für Arbeitslosigkeit und die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Später verhilft Maxes Mutter Ede zu einer Arbeit, mit der er seine Familie unterstützen kann. Als es bei der AEG einen Streik gibt, an dem auch Maxes Vater teilnimmt, wird Edes Vater, ohne sich darüber im Klaren zu sein, als Streikbrecher angeheuert. Die drei Kinder verstecken Maxes Vater auf der Flucht vor der Polizei zunächst bei Unkus Familie und dann bei Ede. In einem ‘Showdown’ kommt es zum Kennenlernen und zur Freundschaft der Familien untereinander. mehr

Warum lesen?

Eine “Emil und die Detektive”- Geschichte aus sozialistischer Perspektive. Politische Themen (Diskriminierung, Streik, Sozialismus) werden hier spannend und humorvoll erzählt. Das Berlin der 1930er Jahre wird lebendig.

Auf der Liste: Kinder- und Jugendliteratur des Exils

Literatur als Widerstand