Der gemeine Lumpfisch

/ 2023

Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten gewesen, selbst der Pandabär ist ausgestorben. In einer Zukunft, die gleich um die Ecke geschieht, reagiert die Welt auf die katastrophalen Verhältnisse, indem Zertifikate verkauft werden, die dazu berechtigen, Arten vernichten zu dürfen, analog zu den heutigen Zertifikaten zum Kohlendioxidausstoß. In dieser hyperneoliberalen Welt, in der schmackhaftes Essen zum Luxusgut für die Reichen geworden ist und Engländer in finnischen Flüchtlingslagern leben, spielt der neue Roman von Ned Beauman.

Die Protagonistin erforscht den gemeinen Lumpfisch, eine intelligente Lebensform, die vom Aussterben bedroht ist und gerade zufällig ausgerottet wurde. Dabei steht ihr ein Angestellter der für die Ausrottung verantwortlichen Firma zur Seite, der verzweifelt ein letztes Lumpfisch-Exemplar sucht, weil er sich mit Zertifikaten verspekuliert hat. Beide bewegen sich in einer Welt, in der sonderbare Dinge passieren, die jedoch ihre eigene Logik haben, die Logik des Kapitals, das noch vom Sterben der Arten profitiert. Ein Happy End gibt es, wie in der Wirklichkeit, nicht.

 

Warum lesen?

Wer sich schon immer gefragt hat, wieso das Bezahlen für die Erlaubnis, Kohlendioxid in die Luft blasen zu dürfen, etwas mit Umweltschutz zu tun haben soll – und das schon immer bezweifelt hat, für die ist diese bissige Satire genau das Richtige.

Auf der Liste: Lieblingsbücher – Kritische Literatur muss nicht kompliziert sein!

Vor dem Verdursten

/ 2012
Aux Frontières de la soif

12. Januar 2010, Erdbeben in Haiti. Zusammenbruch des Landes. Dollars. Billionen, die gesammelt werden. Wiederaufbau in Sicht.  NGOS. Architekturbüros und Stadtplanungsunternehmen. Aufträge müssen beschafft werden. Wettbewerb. Lager. Flüchtlinge. Dieses Bild greift der Roman „Vor dem Verdursten“ von Kettly Mars auf. Der Protagonist, Fito Belmar, Architekt und Stadtplaner von Beruf, versucht Aufträge für den Wiederaufbau seines Landes zu bekommen. Fito (der auch Schriftsteller ist und dessen erster Roman fünf Jahre zuvor veröffentlicht wurde) versucht, diesem Leben voller Ohnmacht, persönlicher und sozialer Frustrationen zu entfliehen und sucht in Canaan, "einem trockenen und einsamen Ort", nach einem Heilmittel für seine Probleme. In Canaan geht sein langsamer Abstieg in den Abgrund weiter. Die Ankunft der 40-jährigen Tutsami, einer japanischen Professorin für französischsprachige Literatur, markiert jedoch einen Wendepunkt im Leben des Schriftstellers und Architekten. Trotz des Misstrauens, der Missverständnisse, der Spannungen, aber auch der Verwirrung, die Tutsami  bei Fito auslöst, scheint sie den Nerv eines abgestumpften, von seinen Dämonen und von Gewissensbissen geplagten Mannes getroffen zu haben.  Mars nimmt uns mit ihrem gut durchdachten Schreibstil mit in die Tiefen ihres Landes, seine tausend Widersprüche, sein Unglück und seine Hoffnungen. mehr

Warum lesen?

Fitos Geschichte ist eine Art Sinnbild, welches die internationale Politik, insbesondere die internationale Hilfe nach dem Erdbeben, kritisiert und so als ein Echo auf Raoul Pecks Dokumentarfilm Assistance Mortelle verstanden werden kann. Zugleich entwirft der Roman Haiti als einen Ort der Offenheit und der Akzeptanz des Anderen, und damit als Alternative zu einer Welt, deren Grenzen sich immer wieder verschließen. In diesem Sinne kann der Roman als Gegendiskurs zur Ablehnung des Anderen gelesen werden.

 

 

Auf der Liste: Politische Literatur aus Haiti

Deutsche und englische Übersetzungen ausgewählter haititanischer Erzähltexte