Der Apfel

/ 1925, überarbeitet 1972

Die Erzählung, 1925 erschienen, ist eine von Fleißers frühen Texten, umfasst nur wenige – vier, fünf – Seiten und dreht sich um einen sehr unscheinbaren Gegenstand, den titelgebenden Apfel. Die Geschichte ist diese: Ein sehr armes Mädchen bekommt unerwartet von einer Freundin zwei Äpfel geschenkt. Einen wird sie essen, den anderen will sie ihrem Freund schenken. Was danach passiert, ist abgrundtief traurig und soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Fleißers transformiert die schöne Geste des Schenkens und Liebens zur bitteren Lektion für das Mädchen: »Man nannte erwachsen, wem ein Licht aufgegangen war über die natürliche Feindschaft unter den Menschen.« Der Apfel der Erkenntnis: Hier schmeckt er sehr bitter.

 

Warum lesen?

Einstiegsdroge: Schon dieser frühe Text offenbart Fleißers meisterhafte Fähigkeit, aus den allerkleinsten Begebenheiten ein Drama existentieller Dimension zu entfalten.

Auf der Liste: Marieluise-Fleißer-Leseliste

Jahrestag

/ 2004
Bicentenaire

„Jahrestag“ beschreibt einen Tag aus dem Leben des Studenten Lucien, an dem dieser sich aufmacht, um an den Demonstrationen gegen die Regierung Jean-Bertrand Aristides in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince teilzunehmen. Wie ein klassisches Drama in der Einheit von Ort, Zeit und Handlung aufgebaut, treffen wir auf Luciens Weg durch die Stadt auf eine Vielzahl von Figuren. Von einer jungen, ausländischen Journalistin über einen ignoranten Arzt — Teil der im Stadtviertel Pétionville residierenden Oberschicht — und seiner gelangweilten Frau; einem nostalgischen Ladenbesitzer; bis hin zu Luciens kriminellen Bruder Ezechiel, alias Little Joe. Entlang dieser Figuren und Stationen zeichnet Trouillot das Tableau einer von Ungleichheiten und Widersprüchen geprägten Stadt und erinnert dabei an die gewaltvollen Zusammenstöße zwischen Demonstrant:innen, bewaffneten Banden und Polizei im Jahr 2004. mehr

Warum lesen?

Weil die Stadt und ihre Bewohner:innen hier zum Spiegelbild einer Gesellschaft in Anspannung werden und diese Momentaufnahme eines Tages so viel über die politischen, sozialen Konflikte, aber auch die Träume einer neuen Generation verrät, ohne das Land und seine Bewohner:innen abermals an stereotype Narrative zwischen Resilienz und Barbarei zu verraten.

 

 

Auf der Liste: Politische Literatur aus Haiti

Deutsche und englische Übersetzungen ausgewählter haititanischer Erzähltexte