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3. – 7. Juli 2023
»die Fleißerin« – Marieluise Fleißer in Berlin und Bayern

Marieluise Fleißer sei die »bedeutendste deutschsprachige Dramatikerin« des 20. Jahrhunderts, postulierte niemand Geringeres als die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek – sie selbst konstatierte: »Als Dichterin existiere ich nicht für die Deutschen.« Trotz seiner singulären Stellung ist Fleißers Œuvre immer wieder von Marginalisierung bedroht – gegen diese Tendenz will sich die Veranstaltungswoche richten. Zugleich soll ihr Werk, das mit schmerzhafter Präzision gesellschaftliche Zustände und Zeittendenzen verzeichnet – die »Rudelgesetze« des Sozialen, die »Fröste der Freiheit« zwischen den Geschlechtern und den aufkeimenden Faschismus – auch zur Gegenwart in Bezug gesetzt werden. Wie werden diese Themen heute literarisch bearbeitet, aber auch: Wie wird Fleißers Werk heute auf die Bühne gebracht?

 

Bereits im Berlin der Weimarer Republik wurde Fleißers außergewöhnliches Talent bemerkt: Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht, mit dem sie nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine kurze Liebesbeziehung verband, förderten die junge Autorin aus der bayerischen Provinz, die mit »Fegefeuer in Ingolstadt« (1923) reüssierte und mit Pioniere in Ingolstadt (1926) einen (von Brecht intendierten) Skandal auf die Bühnen der Hauptstadt brachte, der ihr in Ingolstadt den Ruf einer »Nestbeschmutzerin« eintrug. Es folgten der Bruch mit Brecht, den Fleißer Jahrzehnte später in »Avantgarde« (1963) verarbeitete und die kurze, sie aber in Künstlerkreisen isolierende Beziehung zum rechtsnationalen Schriftsteller Hellmut Draws-Tychsen — in Ingolstadt nimmt die im NS-Deutschland verfemte Autorin schließlich Zuflucht im »Mauseloch« der Ehe, blieb »angehängt wie ein Kettenhund«; eine Existenz, die ihre emanzipierte und ökonomisch unabhängige Protagonistin in »Mehlreisende Frieda Geier« (1931, später: »Eine Zierde für den Verein«) noch vermeiden konnte. Nach dem Krieg sucht sie Anschluss an die Weggefährten der Berliner Jahre, doch erst die Wiederentdeckung durch die bayerischen »Söhne« Franz Xaver Kroetz und Rainer Werner Fassbinder beschert ihr zu Lebenszeiten eine kurze Phase der Anerkennung.

 

Fleißer in Berlin und Bayern – zwei diametral unterschiedliche Erfahrungsräume, die sich aber ästhetisch nicht gegeneinander ausspielen lassen, wie Walter Benjamin bemerkte: »Sie hat einfach die Überzeugung, daß man in der Provinz Erfahrungen macht, die es mit dem großen Leben der Metropole aufnehmen können.« Höchste Zeit also für Metropolenbewohner*innen »die Fleißerin« (Brecht) neu zu entdecken und welcher Ort wäre dafür besser geeignet als das Literaturforum im Berliner Brecht-Haus?

Ermöglicht aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds