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Utopie-Woche: Kritischer Optimismus und Gegenwartsliteratur
4.–8. Juli 2022
Die Utopie genießt keinen guten Ruf. Etwas als „utopisch“ zu bezeichnen ist abwertend. In Anbetracht der gegenwärtigen gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Entwicklungen bräuchte es Utopien jedoch dringender denn je. Der Klimawandel sorgt schon jetzt für immer größere Katastrophen. Die Reichen bauen Bunker und ziehen sich in ihre Paläste zurück. Soziale Medien, das Sillicon Valley und rechte Autokraten leisten ihren Teil, um der Welt das Gruseln zu lehren. Doch findet sich im Schatten der dystopischen Gegenwart eine Vielzahl von Ansätzen, die es besser machen wollen.
Utopien funktionieren heute anders als früher. Sie sind komplizierter, lokaler und persönlicher geworden – oftmals definieren sie sich explizit als Widerstand gegen Neoliberalismus, Umweltzerstörung oder Kolonialismus. Das Prozesshafte und Unabgeschlossene des Utopischen steht im Vordergrund. Ihr Absolutheitsanspruch ist dem Interventionistischen gewichen.
Die Utopie-Woche will die These in den Raum stellen, dass der klassische, in die Umgangssprache eingesickerte Utopiebegriff zur Wahrnehmung dieser Strömungen nicht mehr ausreicht. Wir müssen erst unseren Blick dafür schärfen, was utopisches Denken bedeuten kann, um von dort aus weiterzugehen.
Tickets zu allen Veranstaltungen gibt es ab jetzt in unserem Onlineshop!
Gefördert durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
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Utopie-Woche
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Die Diskreditierung des Utopischen geht auf Marx und das 19. Jahrhundert zurück. Doch können wir sie uns heute, in Zeiten von Klimawandel, Silicon Valley und zunehmender Ungleichheit, immer noch leisten? Brauchen wir Utopien nicht gerade jetzt? Wenn ja, aus welchem Pool von Thesen und Ansätzen können wir schöpfen? Diese Fragen diskutieren die Utopieforscher Aaron Bruckmiller und Alexander Neupert-Doppler mit Ines Schwerdtner und widmen sich dabei auch der Historie sowie unterschiedlichen Formen und Funktionen des Utopischen.
Direkt im Anschluss folgt eine dialogische Lesung von Sarah Lehnerer und Jackie Grassmann, die mit dem Genre der Autofiktion experimentieren, das als einer der Orte gelten kann, an dem versucht wird, die Utopie aus der Praxis des Alltags zu denken. Das macht sie gerade auch für feministische Projekte anschlussfähig. In autofiktionalen Texten wird erprobt, wie Beziehungen und Sorgearbeit in die Geschichten, die wir uns erzählen, integriert werden können. Sarah Lehnerer und Jackie Grassmann präsentieren Auszüge aus einem fortlaufenden, digitalen Briefwechsel. Darin entwickeln die Autorinnen einen Raum, in dem Alltag und Lektüre, Theorie und Praxis eng miteinander verschränkt werden. So entsteht das, was man vielleicht als die Grundbedingung des Utopischen bezeichnen kann: der Traum von einem anderen Leben, der immer in Beziehung zu einem Jetzt steht und das ist, was die Autorinnen als writing in relation begreifen.
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Utopie-Woche
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Ernst Blochs »Das Prinzip Hoffnung« ist ein Mammutwerk. Es handelt von Tagträumen, der „Dämmerung nach Vorwärts“ und „Wunschlandschaften“ und endet mit „Karl Marx und die Menschlichkeit“. Für Bloch ist das Utopische mehr als nur Sozialutopie. Es ist auch eine Geisteshaltung. Der kubanisch-amerikanische Queer-Theoretiker José Esteban Muñoz hat 2009 mit »Cruising Utopia« an Blochs Utopiekonzept angeknüpft und es für „Sexual Avant-Gardes“ und queere Lebensentwürfe nutzbar gemacht. Begierden und die „Kraft des Eros“ stehen im Zentrum seines Werkes, welche für ihn, wie für Bloch, immer politisch sind. Auf diesem Podium werden Francesca Vidal, Mike Laufenberg und Raul Zelik mit Ingar Solty Blochs Utopiekonzept und zeitgenössische Anschlussmöglichkeiten diskutieren.
In Kooperation mit der Ernst-Bloch-Gesellschaft
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Utopie-Woche
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In letzter Zeit sind Utopien näher an die Menschen herangerückt, sie sind persönlicher, komplizierter, lokaler und selbstkritischer geworden. Sie verstehen sich nicht mehr als Abschluss eines historischen Prozesses, sondern als kämpferische Orte gegen Hegemonialmacht. Dieses Utopieverständnis geht insbesondere auf Autor*innen wie Ursula K. Le Guin, Margaret Atwood und Joanna Russ zurück. Auch Kim Stanley Robinson und Ernest Callenbach lassen sich dazurechnen. In einer dialogischen Lesung reflektieren Charlotte Krafft und Andreas Gehrlach die Neubewertung der Utopie sowie ihre inhärente Kritik anhand der Veränderungen ihrer literarischen Repräsentationen seit Mitte des 20. Jahrhunderts.
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Utopie-Woche
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Die Gegenwartsliteratur mag keine Utopien. In Jakob Noltes »Schreckliche Gewalten« spuken sie scheinbar nur durch den Roman, um den Protagonist*innen die Zeit zu vertreiben. In seiner düsteren Welt ist die einzige Hoffnung Phantastik und die Überwindung des Menschen. Mit »Syltopia« hat Lothar Koch eine der wenigen klassischen Utopien der Gegenwart geschrieben. Sie erzählt von einem Sylt als Öko-Paradies, das er eindrücklich beschreibt. Einen anderen Ansatz wählt Theresa Hannig. Sie entwirft in »Pantopia« die Idee einer staatenlosen Weltordnung, bricht aber ab, bevor die Utopie sich verwirklicht. Auf dem Podium werden die Autor*innen ihre Bücher und ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Utopie vorstellen und mit Peter Seyferth darüber diskutieren, warum es die Utopie in der Literatur gerade so schwer hat.
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Utopie-Woche
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Der kapitalistische Geist der Profitmaximierung ist längst nicht mehr Triebfeder eines jeden unternehmerischen Handelns. Unternehmen sehen sich heute auch als politische Akteure. Wer es sich leisten kann, strebt danach, sich selbst zu verwirklichen. Der Lebensentwurf der Boheme der Gegenwart liegt irgendwo zwischen Politisierung, »Fun« und Selbstbestimmung. Andere setzen ihre Hoffnung in kollektive Organisationsformen, Urban Gardening und solidarische Landwirtschaft. Gibt es so etwas wie ein positives Bild davon, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll? Es diskutieren Philip Siefer (Einhorn Kondome), Leif Randt (»Allegro Pastell«), Alissa Starodub (»Lasst es glitzern, lasst es knallen!«), moderiert von der Literaturwissenschaftlerin Elena Stingl.
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Utopie-Woche
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Mit ihrem Buch »Undercommons« wollten Stefano Harney und Fred Moten 2013 den akademischen Betrieb in den USA kritisieren. Was daraus entstand, war weit mehr. Ihr Buch wurde zum Frontalangriff auf die individualisierte, westliche Lebensweise als Ganzes und damit auch auf die Linearität von kolonialen Zeitvorstellungen. Es wurde zu einem Ausgangspunkt für eine auf Zukunft ausgerichtete, postkoloniale Widerstandspraxis. 2021 haben sie ihre Konzepte in »All Incomplete« weiterentwickelt. Brigitta Kuster und Gerald Raunig präsentieren Anmerkungen und Resonanzen aus der Arbeit mit den Texten von Harney und Moten.
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Utopie-Woche
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In der jüngeren Vergangenheit werden utopische Vorstellungen zusehends anhand bestimmter Lebensformen und Identitäten diskutiert. Patriarchale Beziehungsstrukturen geraten in den Fokus der Kritik. Die Autorität des „weißen Mannes“ bröckelt. Der postkoloniale Diskurs stellt ihm die Gemeinschaft, der spekulative Materialismus einen neuen Bezug zur Umwelt und der Pop die radikale Zärtlichkeit entgegen. Aber auch die politische Rechte schläft nicht. Sie hat die Utopie des Ethnopluralismus. Und Elon Musks Transhumanismus verändert die Welt ganz konkret. Utopisch leben: Was bedeutet das?
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