Klagetexte

 

Melanie Katz

Místo nárku/instead of a lament

to the memory of Ilse Weber

 

(Im Traum) trug ich

Asche zum Meer (zum Meer)

 

…In die Tür häng ich

ein Kleid aus licht

blauem Taft und der Klage

der Mohnfelder genäht

 

 

 

Dagmara Kraus

Aus: wehbuch (undichte prosage)
(2016)

 

 

 

Bernd Lüttgerding

 

»Also, damit ich nicht wüte, klag ich im Stillen…«

 

»Ach, dass ich schreien wollen könnte, trunken von echtem Weh.«

 

 

 

Simone Scharbert

Aus: Rosa in Grau (2022)

 

»Meine Erinnerung, ein schwarzes Geschöpf.

Streicht durch mich. Leichtfüßig.

Spaziert durch die Winkel meines Körpers,

ob ich will oder nicht.«

 

 

 

Simone Scharbert

Aus: Du Alice (2019)

 

»Schwarzflecken, Schwarzräume in mir,

die sich ausdehnen, wachsen, gegen den Rand. Manchmal versuche ich danach zu greifen.

Mit einem Wort, mit einer Ahnung.

Greife ins Nichts.«

 

 

 

Hendrik Jackson

 

»Mahlzeit« sagt man gern in den weiten Fluren der exekutiven Jurisprudenz zur Mittagszeit, wenn die Rechtsprechung im Zenit steht und der enge Geist der vollstreckenden Definition an der Kantinentablettschiene sich auflockert und die Glieder streckt in Erwartung leibseliger Sättigung. Steckt womöglich mehr dahinter als eine Grußformel? Schließlich mahlen auch die Mühlen der Justiz langsam, aber ihre Entscheidungen beeinflussen den Alltag noch bis hinein ins letzte Glied der Gesellschaft. Das langsame Kauen erleichtere den Verdauungsprozess im Darmtrakt, sagt man, doch man klagt über die zähfließende juristische, Sachverhalte wiederkäuende Sprache, die einen Aktenstau in den Trakten der Gerichtshöfe hervorzubringen scheint und deren soziale Wulste sich nur langsam in Prozessen auflösen lässt. Magen und Klagen hat es homophonisch und semantisch in sich – aber was hat es damit real auf sich?

 

 

 

Ulrike Draesner

Aus: wölkchen, du – Sprechen vom Finden, Sprachen der Verlierens

 

[…] in einer Klage, der ich glauben kann – die mich berühren dürfen soll, spricht der Körper mit.

 

Als Gefäß könnte eine Klage meinen Schmerz enthalten und – wegbringen. Vielleicht wünscht man sich das. Doch: eine Klage ist kein Gefäß: Schmerz kann nicht enthalten werden.

 

Wann suche ich Poesie auf? Wann brauche ich sie, wo spricht sie am lebens-notwendigsten zu mir? Ihr Trost ist nicht billig, wenn er den Namen Poesie verdient. Er ist ein Trost aus dem Sprechen selbst – dem Nicht-Verstummen. Ein Trost, der inhaltlich nicht beruhigt, nichts überdeckt, nichts versüßt. Ein Trost, WEIL dieses Sprechen selbst gestört ist – weil die Verstörung, die der Verlust, der der Boden und Grund und die Aus-Schüttung meiner Klage ist, in ihm ihre Spuren gesetzt hat.

 

Klage neigt zu Mehrstimmigkeit, weil ihre performative Bedeutung in der Verbindung zu anderen entsteht. So wird Schmerz anerkannt wird: als allein-nicht-allein.

 

 

 

Alexander Estis

 

Was ist die grösste Klage? Die grösste Klage ist meine Klage. Die grösste Klage ist die Klage eines Fremden. Die grösste Klage ist die Klage einer Mutter. Die grösste Klage ist die Klage eines Königs. Die grösste Klage ist die Klage eines Erdwurms. Die grösste Klage ist das Geschöpf. Die grösste Klage ist Asche. Die grösste Klage ist eine, die niemand vernimmt. Die grösste Klage ist eine, die verstummt. Die grösste Klage ist eine, die nicht verhallt.

 

 

 

Zoltán Danyi

Aus dem Ungarischen von Terézia Mora

Aus den Gedichtbänden Több fehér (Mehr weiß), A cs. és kir. rózsakert (Der K.u.K-Rosengarten) und Háborús versek (Kriegsgedichte)

 

Der Wind bringt Muschelgeruch

vom offenen Meer und Kanonendonner

von einem mit freiem Auge

kaum sichtbaren Zerstörer

 

*

der Staub in den Augen, im Herzen,

den Adern kann sich vielleicht

nie mehr legen, erst wenn sie sich gegenseitig

auf die Schulter nehmen und weitergehen,

ohne einen Blick zurück

 

 

 

Ramy Al-Asheq

Aus dem Arabischen von Kerstin Wilsch

Aus: Nr. 2935

 

Ich bin die Frau, die die Sprache der Möwen versteht und die Trauer zwischen ihren Flügeln lesen kann, die Trauer, die einem Punkt auf ihrer Brust ähnelt, dessen Namen die anderen vergessen haben und ihn deshalb „Herz“ nannten!

*

Ich sehe, wie sich die Konvois nähern,

Sie kommen als Menschen

Und gehen als Asche

Ich löse deine Haut vom Tod

Ich schreibe ein Gedicht und lösche es wieder mit den Fingerspitzen

 

*

Ich ging, ohne zu wissen, dass die Züge, die uns ins Lager brachten, Flüchtlinge von der Balkangrenze nach Deutschland holten.

Als ich zurückkehrte, hatten die Tage meine Sprache gegessen

 

 

 

Asmus Trautsch

Aus: anginae. penetrant ad viscera

 

gegen das kippen an klagen. gegen

ein du.

 

 

Asmus Trautsch

Aus: in saint-germain nach dem musée rodin

 

auf einem pappthron, die stirn in der burg ihrer

hände, sitzt, den rücken zur sichel gebogen

wie im garten die bronze, doch ohne bühne

 

Camille. schaut nicht, trägt nichts, spielt nicht für

blicke. ich schaue und gehe, schreibe aus meiner

bildergarderobe. dieses gedicht ist nicht schuldlos.