Safiye Can: Liebe zur Quarantäne-Zeit

Social Distancing ist das Schlagwort der Zeit. Wir haben Autor*innen gebeten, Perspektiven auf diesen Begriff zu formulieren

 

 

Foto © Ali Malak

 

 

Liebe zur Quarantäne-Zeit

 

I.

 

Jetzt sitzt du in Wien
und ich in Offenbach
und wir können nicht zueinander fliegen
oder fahren mit dem Zug
selbst die letzte aller Möglichkeiten
die 15 Stunden Fahrt mit dem FlixBus
ist nicht mehr möglich.
Und dass ich dir
am Frankfurter Hauptbahnhof glücklich zuwinke
und dass du mich
am Wiener Flughafen sehnsüchtig umarmst.
Die Grenzen sind zu
für alle Liebenden, mein Liebster
jedes Umarmen bleibt verboten
und wir dürfen nicht zueinander finden.

 

Was selbstverständlich sehr schade wäre
wenn wir uns nicht vorher schon
getrennt hätten.

 

Welch Glück.

 

 

 

II.

 

Jetzt sitzt du in Düsseldorf
und ich in Offenbach
und wir können nicht zueinander fahren
mit dem Auto oder Zug
selbst die längste aller Möglichkeiten
eine Prophetengeduldsfahrt mit dem FlixBus
ist nicht mehr möglich.
Und dass ich dir
Ecke Schillerschule in die Arme laufe
und dass du mich
am Düsseldorfer Hauptbahnhof sehnsüchtig erwartest.
Die Grenzen sind zu
für die Liebe, mein Liebster
jedes Umarmen bleibt verboten
und ich darf nicht zu dir finden.

 

Nicht, weil die Welt dieser Tage
von der Pandemie betroffen ist
oder der Mindestabstand 2 Meter.
Sondern, weil du mich
auch ganz ohne Pandemie und Quarantäne
einfach nicht willst.

 

Welch Unglück.