Marko Dinić: Literatur und Krieg

Statement für die Veranstaltung „Literatur und Krieg“ im Rahmen des Netzwerks Richtige Literatur im Falschen, 1.12.2022

 

Das Prinzip des Äußersten reitet den Krieg. Waren es viele Kriege gewesen – oder nur ein einziger, langer Krieg mit friedlicher Unterbrechung? Was bedeutet Frieden, wenn es keine Vorstellung vom selbigen gibt? In Afghanistan herrscht seit 1978 Krieg. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, behaupten Zungen, gehe der Krieg weiter: in den Köpfen der Menschen. In Rwanda wurden als Folge des Genozids alle, noch aus kolonialen Zeiten stammenden, ethnischen Unterscheidungen abgeschafft.

 

Ich habe den Krieg als Kind erlebt, aber mein Wissen um die Beschaffenheit einer Bombendetonation erscheint mir heute unnütz, und diejenigen, die mir eine hohe Resilienz bescheinigen, verstehen nicht, dass es keine friedlichen Unterbrechungen gibt – dass uns alles zu jeder Zeit anzugehen hat. Aber der Computer lässt sich zuklappen, das Handy für wenige Sekunden weglegen, der Fernseher ausschalten: aus den Augen aus dem Sinn! Die Betäubung ist nicht der Krieg, die Betäubung ist die Vorstellung, er sei weit weg von uns – er gehe uns nichts an – er wirke nicht auf unseren Alltag ein. Die Vorstellung von Frieden ist die Betäubung.

 

Zu Beginn des Ukrainekriegs hörte ich im Radio eine Diskussionssendung zu gegebenem Thema, in der die Zerstörung Mariupols von einigen Journalist*innen der bürgerlichen deutschsprachigen Leitmedien (SZ, FAZ, ORF) mit der Schlacht von Verdun verglichen wurde. Nun weiß ich nicht genau, wie viele Menschen auf dieser Welt sich aktiv an die Schlacht von Verdun erinnern können, aber die Ignoranz, mit der eine andere europäische Stadt, deren völlige Zerstörung mit schmerzhaft ähnlichen Phrasen eines Vlad Putin gerechtfertigt wurde – die Ignoranz, mit der die Zerstörung Vukovars vor genau 21 Jahren (bewusst?) vergessen wurde, tat in jenem Augenblick derartig weh, dass ich mich gezwungen sah, dieser Ignoranz die erste und – ich schwöre! – einzige Wutmail in meinem Leben entgegenzustellen, in der ich darauf hinwies, dass aus Kriegen durchaus etwas gelernt werden könne, wenn der Vergleich – etwa der soziopolitischen Umstände und Bedingungen für Konflikte – stimme.

 

Imre Kertesz verwies einmal auf die sonderbare Dialektik der Shoah, in der sich das größte, bisher bekannte Menschheitsverbrechen die Waage hält mit den Bibliotheken an Wissen, die aus ersterem hervorgingen. Können wir als Menschen aus unseren Kriegen und aus den aus ihrer inneren Logik zwangsläufig hervorgehenden Massenverbrechen lernen? Überhaupt: Wer redet eigentlich über das Prinzip des Männlichen, das jedem Krieg zugrunde liegt? Und seit wann wird eigentlich in Äthiopien oder im Jemen Krieg geführt?