Ingar Solty: Literatur und Krieg

Statement für die Veranstaltung „Literatur und Krieg“ im Rahmen des Netzwerks Richtige Literatur im Falschen, 1.12.2022

 

Es gibt vier Typen Kriegsliteratur: Die Schriftsteller im Krieg werden eingezogen oder melden sich aus Begeisterung freiwillig. Die Literatur im Krieg bezeichnet Schriftsteller, die schon im laufenden Krieg mit literarischen Texten reagieren, sei es, dass sie die Kriegsgräuel schonungslos realistisch oder absurd darstellen und Propaganda unterlaufen, oder dass sie »patriotische« und kriegsverherrlichende Gedichte, Lieder und Romane schreiben. Die Literatur des Krieges, die klassische (Anti-)Kriegsliteratur, meint Texte von Veteranen, die ihre traumatischen Erfahrungen literarisch verarbeiten. Die Literatur zum Krieg fasst das Phänomen, dass Schriftsteller sich nicht nur über ihre Literatur, die Sujetauswahl und Erzählweise einmischen, sondern sie auch – im Geiste von Emile Zolas »J’accuse« – die ihnen zugestandene moralische Autorität für Positionierungen jenseits ihres literarischen Werkes nutzen.

 

Diese engagierte Literatur war lange verpönt; niemand wollte enden wie Günter Grass und Wahlkampf für Parteien machen. Heute, da die Gesellschaft auseinanderdriftet und die Politik ohne Visionen ist, wird der engagierte Schriftsteller vermisst.

 

Im Ukrainekrieg wurde er wieder sichtbar: Martin Walser, Juli Zeh, Alexander Kluge u.a. warnten vor der Gefahr einer Eskalation des Kriegs in der Ukraine und über ihre Grenzen hinaus. Der PEN-Präsident Deniz Yücel forderte dagegen eine Flugverbotszone, die seine Kritiker als Weg in den Dritten Weltkrieg sahen. Ralf Bönt warb für Wehrhaftigkeit und soldatische Kultur. Kathrin Röggla, Eugen Ruge, Max Czollek, Milo Rau, Sharon Dodua Otoo, Dietmar Dath u.v.a. stellten sich mit dem „Appell“ gegen die 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Aufrüstung. Der ukrainische Autor Serhij Zhadan erhielt – vor Pazifismus warnend – den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Weil er in seinem prämierten Buch „die Russen“ als „Horde“, „Verbrecher“, „Tiere“ und „Unrat“ bezeichnet hatte, wurde über diese Entscheidung heftig gestritten. Der Hass sei vielleicht verständlich, aber nicht preiswürdig, meinten Kritiker.

 

Kurz, auch dieser Krieg existiert nicht ohne engagierte Literatur. Dabei gibt es eine allgemeine Dialektik des Krieges, der auch Schriftsteller unterliegen: Auf Kriegsbefürwortung (oder gar Begeisterung) folgte historisch irgendwann Kriegsmüdigkeit und Erschrecken (auch über sich selbst). Die Literaturgeschichte ist voll von diesen Biografien: Döblin, Klabund, Hesse, sogar Brecht. Vor dem Hintergrund des Leids und der Zerstörung, der realen Gefahr atomarer Eskalation schreibt die Gegenwart ein neues Kapitel. Fürchterlich, dass sie es muss.