40 Signs of Rain und Das Ministerium für die Zukunft

/ 2004 und 2021
The Ministry for the Future / 2020

Leugnung und Überzeugungsarbeit; politische Hoffnung und Wut

Vielleicht lässt sich diese Literaturliste am besten mit zwei Titeln beenden, die sich der Science- Fiction zuordnen lassen, und doch ganz und gar Romane ihrer eigenen Entstehungszeit sind. Die Rede ist von Kim Stanley Robinson’s 40 Signs of Rain aus dem Jahre 2004, und seinem neustem Roman Das Ministerium für die Zukunft. Ersterer wurde nie übersetzt, dabei ist Robinson auf dem Feld der Science-Fiction, die sich mit Umwelt und Klimawandel auseinandersetzt, wohl so renommiert wie sonst niemand. Dass der Roman nie auf deutsch erschien, könnte daran liegen, dass er ganz und gar amerikanisch ist; er handelt primär von amerikanischen Wissenschaftler*innen in Washington DC, die im Bereich zwischen Wissenschaft, Forschungsfinanzierung, und Parlamentspolitik agieren. Es ist auch bei weitem nicht Robinsons bestes Werk, gerade die Figuren sind selbst für die Verhältnisse der »harten« (also besonders wissenschaftlich-trockenen) Science-Fiction dünn gezeichnet. Aber vor allem ist der Roman eindeutig aus der Zeit der amerikanischen Bush-Regierung, in der das grundsätzliche politisch-emotionale Problem das Problem der Klimawandelleugnung von obersten Regierungs-vertreter*innen war. Der Roman spielt in einer Zeit, in der die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits bei katastrophalen 440 ppm (Partikel pro Millionen) liegt, und in der trotzdem immer noch ein Präsident der Manier George W. Bush regiert. Diese Problematik fühlte sich wohl recht schnell nicht mehr so richtig relevant an. mehr

Vielleicht hat Robinson auch deswegen mit Das Ministerium für die Zukunft das Thema, wie der Klimawandel Schritt für Schritt über die Jahrzehnte politisch-ökonomisch gelöst werden könnte, noch einmal aufgenommen. Robinsons aktuellster Roman ist weniger amerikanisch in seiner Perspektive, eher ganz explizit polyphon: Politiker*innen aus Indien und Europa; Menschen, die vor Klimakatastrophen fliehen müssen; versklavte Minenarbeiter in Namibia, die nach seltenen Mineralien schürfen müssen; anonyme Demonstrant*innen und schließlich selbst die Sonne; die Photonen »der Markt«, und verschiedene andere nicht-menschliche Entitäten bekommen alle Platz in der Narration. So darf man auch von allerlei Gefühlen erfahren. Die beiden Protagonist*innen – die irische Chefin des namentlichen transnationalen Ministerium für die Zukunft, Mary Murphy, und der amerikanische Hilfsarbeiter Frank May – verkörpern dabei ganz und gar gegensätzliches. Aus Murphys Perspektive hören wir allerlei über quälend lange Regierungssitzungen und Treffen, in denen Verträge und Strategien ausgehandelt werden – die am Ende des Romans aber ihren Erfolg gezeigt haben. Der Roman ist in diesen Kapiteln mehr oder weniger eine Fiktionalisierung von echten Regierungs- und Denkfabrikdokumenten, die kleinatmig aufdröseln, was politisch und ökonomisch passieren muss, damit wir auf dem 1.5-Grad-Pfad bleiben. Was trocken klingt, ist vielleicht einer der hoffnungsreicheren fiktionalen Texte der letzten Jahre: Es entsteht ein echtes Gefühl dafür, dass »wir« es immer noch schaffen können; dass es immer noch politische Pfade zu einer auch in Zukunft lebenswerten Welt gibt.

Frank May’s Perspektive hingegen eröffnet das Buch: er ist ein aid worker in Indien am Tag einer katastrophalen Hitzwelle, bei der zwanzig Millionen Menschen sterben. Robinson nutzt dieses erste Kapitel, um in erdrückendem Detailreichtum darzustellen, was die »Kühlgrenztemperatur« ist: die Kombination von Temperatur und Leuftfeuchte, bei der ein menschlicher Körper sich über einen Zeitraum von mehr als einigen Stunden schlicht nicht mehr abkühlen kann, und irgendwann unweigerlich stirbt. Bei aller Hoffnung, die der Roman in den folgenden Kapiteln produzieren zu vermag, stehen hier Schock, Horror und Angst im Vordergrund. Und aus diesen Gefühlen nährt sich eine weitere Emotion, die in unserer Klimaliteratur vielleicht noch nicht genügend verarbeitet wurde: Wut und blanker Hass. Frank May überlebt die Hitzewelle, aber sein Hass auf Menschen, die den Klimawandel besonders befeuert haben, wird immer größer, bis er in der Schweiz schließlich wahllos einen Mann im feinen Anzug erschlägt. Ist diese Wut produktiv? Im Roman zumindest eher nicht: Frank May erreicht fast nichts, ist mehr Beobachter als Akteur. Dennoch sollten wir auch diese Gefühle des Hasses und der Wut – auf Ölfirmen und deren CEOs, auf Präsident*innen und Minister*innen, auf Menschen, deren reaktionäre Gesinnung geradezu im Genuss von Klimazerstörung aufgeht – ernst nehmen: sie werden uns noch lange begleiten.

 

Warum lesen?

Die CO2-Konzentration liegt heute bei ungefähr 421ppm; das ist beängstigend genug. Aber auf eine gewisse Art ist 40 Signs of Rain, der erste Roman der Science in the Capital-Trilogie ganz ungewollt viel dystopischer, weil er überhaupt nicht aus seiner Zeit herauskommt, in der es für die Hälfte aller Politiker noch ganz natürlich war, den Klimawandel nicht einmal als Realität anzuerkennen. Es ist schwer, sich 20 Jahre später in diese Problematik zurückzuversetzen. Gerade das macht es interessant, diesen Roman zu lesen – als eine Art historisches Dokument. Das Ministerium für die Zukunft wird in zwanzig Jahren vielleicht ganz ähnlich veraltet klingen; ein kleines bisschen ist es das jetzt schon, der politische Horizont unserer Welt scheint durch die Coronapandemie bereits schon wieder ein anderer zu sein, als er es noch vor wenigen Jahren war. Im großen und ganzen fühlt sich der Roman aber wie ein durchaus realistischer Pfad in eine lebenswerte Zukunft an: Ja, ungefähr so könnte es vielleicht passieren.

Auf der Liste: Klimaangst und Literatur