#Traumata
»Der Russe ist einer, der Birken liebt«
/ 2012
In ihrem Erstlingsroman entwirft die 1984 in Baku geborene Autorin ein vielfältiges Ensemble transkultureller und polyglotter Figuren, in dessen Zentrum die Protagonistin Masha steht. Genau wie ihre (post)migrantischen Freund*innen konterkariert sie mit diversen kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten vermeintlich eindeutige nationale, kulturelle und religiöse Identitäten sowie traditionelle Gender-Modelle und sexuelle Orientierungen. Neben der Auflösung statischer Identitätszuschreibungen handelt die Geschichte von der gemeinsamen polyphonen Sprachlosigkeit der Figuren und von individuellen Traumata. Handlungstreibendes und zugleich retraumatisierendes Moment ist dabei der überraschende Tod des Lebenspartners der Ich-Erzählerin, der sie veranlasst, von Frankfurt nach Tel-Aviv und ins Westjordanland zu reisen, wo sie von ihren unvermittelten Erinnerungen an die Pogrome des Bergkarabach-Konflikts, die sie als Kind miterlebt hat, eingeholt wird. In Flashbacks werden Erinnerungsbruchstücke mit der erzählten Gegenwart überblendet und so mündet die Erzählung in eine Orientierungslosigkeit, in der trennscharfe Grenzen nicht nur zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch zwischen gesellschaftlichen Zuschreibungen verschwimmen.
Warum lesen?
Weil das Buch im Kontext individueller Migrationserfahrungen ein pointiertes transkulturelles Geflecht traumatischer Referenz- und Fluchtpunkte zur Darstellung bringt, in dem nationale und kulturelle Grenzen an Gültigkeit verloren haben und es radikal dazu auffordert, gesellschaftlich tradierte Zuschreibung neu zu befragen.
[Joshua Biro]