Eine Zierde für den Verein

/ 1972
Mehlreisende Frieda Geier. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen. / 1931

Neue Frauen gab es einige in der Weimarer Republik und sie tummelten sich vornehmlich in Berlin. Fleißers einziger Roman »Mehlreisende Frieda Geier« hingegen spielt in der bayerischen Provinz, durch die die titelgebende Protagonistin in ihrem Wagen, dem Laubfrosch tourt, um ihre Ware an den Mann zu bringen. Zuhause wartet der Tabakwarenhändler und Sportschwimmer Gustl, dem diese Emanzipationsbewegungen nicht geheuer sind und der sie gerne an die kurze Leine legen möchte. Frieda Geier macht, was Fleißer nicht tat: Sie trennt sich von ihrem Freund, das biographische Vorbild hingegen wurde Fleißers Ehemann, mit ihm lebte die Autorin »angehängt wie einen Kettenhund«. Fleißer überarbeitete den Roman später unter dem Titel »Eine Zierde für den Verein« und fokussierte damit den männlichen Protagonisten – schade eigentlich.

 

Warum lesen?

Genussmittel: Die Aufzählung im Untertitel – »Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen« – benennt die sinnlich-erotische Dimension, die Fleißer gemeinsam mit der ökonomischen als Grundlage weiblicher Emanzipation in Szene setzt.

Auf der Liste: Marieluise-Fleißer-Leseliste

Der eiserne Pfad

/ 1999
Mesilat barzel / 1991

Erwin Siegelbaum ist unterwegs. Auf jährlichen Touren durch die Dörfer und Kleinstädte Österreichs spürt der israelische Antiquitätenhändler die materiellen Hinterlassenschaften der ermordeten Juden Europas auf. Dank einiger Schwarzmarktdeals ist er wirtschaftlich unabhängig. Er kennt alle Strecken und alle Orte, die Züge sind sein Zuhause. Doch seine unentwegten Wanderungen haben noch ein anderes Ziel: den Mörder seiner Eltern zur Strecke bringen. Betagt, zahnlos und unbehelligt lebt Oberstleutnant Nachtigel auf dem Land – bis Siegelbaum ihm schließlich auf die Spur kommt. In schnörkellosen Szenen und den lakonischen Reflexionen seines Erzählers gewährt Aharon Appelfeld, der 1932 als Erwin Appelfeld in der Bukowina geboren wurde, tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Überlebenden, der mit der Vergangenheit nicht abschließen kann. Die offenen Rechnungen mit Europa wiegen schwerer als die Verheißung von Ruhe und Sicherheit in Israel. Und die unüberwindbare Einsamkeit des Rächenden ist in jeder Zeile greifbar.

 

Warum lesen

Weil sich Appelfeld nichts Überflüssiges erlaubt. Ein Racheplot in Reinform. Wie auf Schienen läuft die Erzählung auf ihr unausweichliches Ende zu.

Bester Satz: »In Sprache steckt fast immer Verstellung. Ich traue nur den Schweigsamen.«

[ssch]

Auf der Liste: Jüdische Rache

Auf der Suche nach Gerechtigkeit in der Literatur nach 1945