Wald

/ 2015

Marian hat alles verloren – ihre Karriere als Designerin, ihren Freund, ihre Wohnung, ihren Besitz. Jetzt wohnt sie in einer Hütte im Wald, reflektiert ihr Scheitern und versucht von einem Tag auf den anderen zu überleben. Der kleine Haushalt kreist um Wildern, Fischen, Stehlen – und um Franz, ein älterer Mann, der immer wieder auftaucht und sie unterstützt – und sexuell ausbeutet. Obendrein passt ihre Anwesenheit den Dorfbewohnern nicht. Die Ungeheuerlichkeit von Marians Lage kommt scheinbar selbstverständlich daher, ganz ohne Drama. Wie die Knecht da eine Frau in den Abgrund schickt und trotzdem nicht den Humor verliert, ist lehrreich. Frauen, die in der Natur zurechtkommen müssen, stehen vor anderen Herausforderungen als Männer – das lässt sich vom kleinen Häuschen metaphorisch wunderbar auf die große Welt übertragen. Das macht Doris Knecht auf eine äußerst tabulose und spannende Art. mehr

Warum lesen

Spannend und drückend, aber auch hoffnungsvoll. Nebenbei eine große Kritik am Neoliberalismus. Knechts lakonischer Humor trägt eine durch das Buch, das ein großartiges empathisches Angebot ist.

Auf der Liste: Das Politische im Privaten – österreichische Autorinnen

Die singenden Bäume

Les arbres musiciens / 1957

In seinem zweiten Roman geht Alexis zurück ins Haiti der Zeit der amerikanischen Besatzung (1915-1934). Im Zentrum stehen die drei Brüder Diogène, Edgard und Carles Osmin.  Während Diogène als katholischer Priester und Edgard als Militär in der Gesellschaft aufsteigen, ist der dritte Bruder, ein Poet, voller Kritik und Ablehnung gegen jene gesellschaftlichen Instanzen und das (bürgerliche) Leben, was diese mit sich bringen. Doch Alexis Aufmerksamkeit gilt nicht der Kritik am bürgerlichen Lebenswandel, vielmehr konzentriert er sich darauf, zu zeigen, wie Militär, Staat und Kirche zusammenwirkten, um die Landbevölkerung unter religiösen Vorwänden zu enteignen und damit den Weg frei für die extensive Kautschukproduktion zu machen. Zugleich geschieht dieser Angriff auf die ruralen Lebensgrundlagen und Glaubensformen nicht ohne Widerstand, angeführt von dem betagten vodou-Priester Bois-d’Orme und Gonaibo, einem Jungen, der von seiner Mutter fern jeglicher sozialen Strukturen aufgezogen wurde und in einer engen Verbindung zur Tier- und Pflanzenwelt steht. In den darauffolgenden Auseinandersetzungen merken Diogène und Edgard erst spät, dass sie in dem Spiel um religiöse Deutungshoheiten und ökonomische Macht nur Spielfiguren sind und, dass die physische und epistemologische Widerstandskraft des ländlichen Raums und ihrer Bewohner:innen größer ist, als erwartet. Trotz und auch dank seiner etwas aus der Zeit gefallenen Sprache (in der Übersetzung) besitzt Alexis Roman eine außergewöhnliche Kraft, kunstvoll, aber nicht reduktionistisch, übt er Kritik an kapitalistischer Interessenpolitik und religiösen Dogmatismus und sucht dabei die Nähe zum Magischen Realismus. mehr

Warum lesen?

Weil Alexis einen materialistischen Blick auf die Zeit der amerikanischen Besatzung Haitis wirft, dabei jedoch nicht in eine nüchterne Analyse verfällt, sondern dem haitianischen Imaginären und seinen Widerstandstraditionen Raum einräumt, damit gewohnte Konstruktionen von Wirklichkeit überschreitet und nach wie vor wirksame Paradigmen von Fortschritt hinterfragt.

 

Auf der Liste: Politische Literatur aus Haiti

Deutsche und englische Übersetzungen ausgewählter haititanischer Erzähltexte