#Migrantifa
»broken german«
/ 2016
Tomer Gardis Roman fällt auf mehreren Ebenen aus dem Rahmen einer etablierten Sprache und Literatur und sorgt für zahlreiche Irritationen. Das von der Kritik kontrovers diskutierte, »fehlerhafte« Deutsch auf der einen Seite, die Figurenverwirrung, das Verschwimmen der Grenzen zwischen Fiktion und textinterner Realität, die Wendungen und Narrationsbrüche sowie die Vermischung verschiedener Textsorten auf der anderen Seite – all diese Besonderheiten des Romans zeigen, dass sowohl der Autor als auch sein Text diverse Austritte aus tradierten (Kultur-)Diskursen literarisch realisieren und zum Thema machen. Broken German erzählt in Form von kurzen, nicht chronologisch aufgebauten Episoden von einer Vielzahl von Figuren, die sich wie der unzuverlässige Erzähler in einem dezidiert (post)migrantischen Berlin bewegen und sich mit Fragen kultureller und sprachlicher Zugehörigkeiten auseinandersetzen.
Warum lesen?
Gardi und seine Erzählfiguren kommen gleichsam »von außen« in die deutsche Sprache und Literatur. Dabei geben sie ihre Außenseiterposition nicht preis, sondern machen gerade diese zu ihrer wesentlichen literarischen Waffe, mit der sie Möglichkeiten des Sprechens, Schreibens über Vergangenheit und Gegenwart erweitern und bereichern. Der die Normen der (Schrift-)Sprache missachtende Prosatext dekonstruiert das Paradigma der deutschen »Leitkultur« und unterläuft das »Reinheitsgebot« der Sprache als Garant einer gelungenen Integration.
[Anna Rutka]
Ministerium der Träume
Nach der Flucht aus dem Iran wächst die Ich-Erzählerin Nasrin mit ihrer Schwester Nushin im Deutschland der 1980er und 90er Jahre auf und sie erleben den Alltagsrassismus ebenso wie die Botschaftsverbrechen des erstarkenden Neonazismus und Rechtsterrorismus. Sie bilden eine antifaschistische Gruppe, trainieren Kampfsport und schulen sich theoretisch. Die Begegnungen mit Neonazis und die antifaschistischen Aktionen sind nicht der primäre Gegenstand, sondern fungieren vielmehr als das unbehagliche Hintergrundrauschen des Romans, der den Antifaschismus aus einer migrantischen Warte perspektiviert. Verlorene und wiedergefundene Freundschaften, migrantisches und queeres Leben in Berlin wie in der Provinz, Familienkonflikte, sowie die Frage nach der Verantwortung, sowohl innerhalb der (Wahl-)Familie als auch für gesellschaftliche Zu- bzw. Missstände werden im Roman verhandelt. Strukturiert wird dieser durch die bohrende Frage nach dem Grund für den tödlichen Unfall von Nushin. War es Mord, Selbstmord oder bloß ein Zufall? Für alle Figuren ist es selbstverständlich, dass sich sowohl bei der Aufklärung Todesumstände als auch bei der Bekämpfung rechter Umtriebe nicht auf die staatlichen Sicherheitsorgane verlassen werden kann. mehr
Warum lesen
Der Roman gewährt einen erhellenden und alternativen Blick auf die deutschen Zustände, schildert die Wut und Verzweiflung angesichts einer diskriminierenden und häufig gefährlichen Umwelt und macht eher nebenbei deutlich, dass Antifaschismus überlebenswichtig ist.
Friss und stirb trotzdem
Der junge Ich-Erzähler ist Teil einer Gruppe zumeist migrantischer Antifaschist*innen die sich in den frühen 90er Jahren dem grassierenden Rassismus entgegenstellen – und das ist ganz wörtlich zu verstehen. Sie fahren in die Städte, in denen es Pogrome gab, um sich den rassistischen Pöbel vorzuknüpfen. Alles ändert sich jedoch, als Teile der Gruppe einen rechten politischen Kader in Neukölln attackieren – mit tödlichem Ausgang. Auch der Ich-Erzähler muss untertauchen. Versteckt bei unbekannten, aber solidarischen Genoss*innen denkt er über die vergangenen Aktionen nach. mehr
Warum lesen?
Ein beklemmender, auf wahren Begebenheiten basierender Roman über die frühen neunziger Jahre in Berlin, die Probleme politischer Organisierung, Gewalt und Solidarität.