#Krankheit
Stella Maris
/ 2023Dass man einen Roman aufschlägt, der mit einem Dialog beginnt, das ist nichts Ungewöhnliches. Aber ein Roman, der ein Dialog bleibt, und das 239 Seiten durch, das ist dann doch etwas, was mich interessiert – und dann noch von dem Autor der »Straße«. Die Dynamik des Gesprächs bestimmt die Dramaturgie, d.h. auch die Missverständnisse und Sackgassen. Wir erleben einen Psychiater im Gespräch mit einer genialen Patientin, Mathematikerin und Violinistin, die für den behandelnden Arzt eine ganz schöne Herausforderung ist. Ein Buch über existentielle philosophische Fragen und über Manipulation. Und über die Frage nach Normalität, Krankheit und Heilung auf eine Weise, die dem Goedelschen Satz, dass die Mathematik mehr Fragen aufwirft, als sie beantworten kann, entspricht. Dieses Buch ist eigentlich als Zusammenhang mit einem anderen Roman des Autors gedacht, der quasi zeitgleich erschien »Der Passagier«, und beide stellen gewissermaßen das Schweigen des anderen dar. Sie sind sozusagen Zusatzschweigen, aber ich habe das zweite Buch erst angelesen. »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«, dieses Wittgensteinzitat nimmt »Stella Marais« als seine eigentliche Herausforderung. Manchmal ist es mühsam zu lesen, wenn eine gewisse Selbstgefälligkeit des Autors einen von einer gedanklichen Pirouette zur nächsten schleudert, aber ich bin doch dran geblieben. Merkwürdig...
Der Aufstand der Sonnenkönigin
/ 1988Ein Arbeitstag beginnt. Die Minuten rasen dahin. Die Ladungen, die auf ihn warten. Seine besorgten Kunden. Andere Transporteure auf der Lauer. Die Konkurrenz ist hart. Das Elend eines anderen, das Glück eines anderen. So beginnt der Roman von Gérard Etienne mit dem Unglück des integren Transportunternehmers Jo Cannel, der plötzlich erkrankt. Zwischen Cannels Weigerung, sich von der Brutalität dieser Krankheit, die seinen Körper zerfrisst, mitreißen zu lassen, und der Trägheit des medizinischen Systems beschließt Mathilda, Cannels Frau, sich diesem System zu stellen, das von Militärs im Dienste des Großmeisters regiert wird – der nur allzu deutliche Parallelen zu dem Diktator Duvalier aufweist. So lässt uns Etienne den Weg von Mathilda und Jo verfolgen, der sie in Opposition zu dem gesamten politischen Apparat bringt. Etiennes Roman ist eine literarische Hymne, deren Poesie in jedem kurzen und prägnanten Satz lebt. Er ist in einer Sprache geschrieben, die an kreolischen Gesang erinnert. Alles ist Mord und Gewalt in dieser Sprache, die sich jeglicher Künstlichkeit entledigt. mehr
Warum lesen?
Der Roman von Gérard Etienne gehört zu den Werken von Schriftstellern, die Opfer der Diktatur wurden. Indem er das Duvalier-Regime anprangert, enthüllt er die Mechanismen der Macht und des Terrors. Etienne zeigt in dem Roman, wie das Regime die Religion und die damit verbundenen Ängste nutzte, um jede Form des Widerstands niederzuschlagen. Er zeigt außerdem, dass es trotz all dessen zu Widerstand kommen kann.