Yo Marcos / 2001 [1994]

Die geopolitische Lage änderte sich in den 1990er Jahren radikal. Die Sowjetunion war nicht mehr, Blockbildungen lösten sich auf, die nationalen Befreiungsbewegungen im Globalen Süden verschwanden oder waren an die Macht gekommen, ohne ihre sozialistischen Versprechen einzulösen. 1995 schuf die zapatistische Bewegung in Chiapas ein neues internationalistisches Paradigma: der Kampf um politische Autonomie ersetzte den Kampf um einen eigenen Staat, indigene Stimmen erhielten Gehör, Basisdemokratie und Nachhaltigkeit ersetzten Avantgarden und bürokratische Apparate. Es gibt mehrere deutschsprachige Bücher, die diese Entwicklung zusammenfassen, doch dem 2001 im Nautilus Verlag erschienenen Interviewband der Journalistin Marta Durán de Huerta mit dem legendären Subcommandante Marcos kommt bis heute besonderer Stellenwert zu. Die spanische Originalausgabe erschien 1994, kurz nachdem die zapatistische Befreiungsarmee EZLN ihren Aufstand in Chiapas einleitete und weltweite Berühmtheit erlangte. mehr

Warum Lesen?

Konkreter Ausdruck für den Internationalismus der Zapatistas war das „Interkontinentale Treffen für Menschlichkeit und gegen Neoliberalismus“ 1996 mit 3000 Teilnehmer:innen aus der ganzen Welt. Die so genannte Antiglobalisierungsbewegung der folgenden Jahre war wesentlich von zapatistischen Gedanken geprägt. Diese sind in „Yo Marcos“ prägnant zusammengefasst.

 

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Bücher zu einem Sozialismus ohne Grenzen

Reise nach Rojava

/ 2022

Wer beim Lesen gerne Bilder ansieht, kann sich an dieser Graphic Novel bedienen. Janet Biehl war viele Jahre die Lebensgefährtin von Murray Bookchin, dessen Werk Abdullah Öcalans „antiautoritäre Wende“ mit beeinflusste. Biehl reiste zwischen 2014 und 2019 mehrere Male nach Rojava, um die Kurdische Revolution zu begleiten. Ihre Erfahrungen verarbeitet sie textlich wie bildlich in „Reise nach Rojava“.

Warum Lesen?

Erstens, weil es auch mal eine Graphic Novel sein darf, und zweitens, weil der kurdische Befreiungskampf in den letzten zehn Jahren ein Brennpunkt internationalistischer Initiativen war. Dort trafen die Internationalen Brigaden des Spanischen Bürgerkriegs auf das Vermächtnis der nationalen Befreiungsbewegungen und den zapatistischen Paradigmenwechsel hin zu mehr Autonomie und weniger Staat.

 

Auf der Liste: Internationalismus

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Afrika – Die Geschichte einer Unterentwicklung

/ 1975 [1972]

Weniger bekannt als die Schriften Guevaras oder Fanons, aber deshalb nicht weniger relevant sind Walter Rodneys Reflexionen zur Befreiung von Imperialismus und Kapitalismus. Wie Guevara und Fanon war Rodney war alles andere als nur Theoretiker. Sein politisches Engagement in Guyana – einem Land, dem selten internationale Aufmerksamkeit widerfährt – führte 1980 zu seiner Ermordung. Rodney, einer der bedeutendsten marxistischen Theoretiker des Globalen Südens, wurde keine 40 Jahre alt. Heute wird sein Werk wieder verstärkt rezipiert. 2023 erschien eine neue deutsche Übersetzung seines Standardwerks im Manifest Verlag unter dem Titel „Wie Europa Afrika unterentwickelte“. mehr

Warum Lesen?

Es gibt viele Bücher, die den Zusammenhang zwischen Imperialismus und Kapitalismus erklären. Was die Werke sozialistischer Theoretiker des Globalen Südens auszeichnet, ist die tagtägliche Konfrontation mit dessen Konsequenzen vor Ort. Auch die Schriften Kwame Nkrumahs oder Amílcar Cabrals ließen sich hier anführen.

Auf der Liste: Internationalismus

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Die globale Perspektive

/ 2022 [2016]

Auch Torkil Lauesen ist ein Mann der Praxis. Von 1972 bis 1989 war der er Teil einer Gruppe (der so genannten „Blekingegade-Gruppe“), die für einige der erfolgreichsten Raubüberfälle in Dänemark verantwortlich zeichnete, wobei die gesamten Erträge an sozialistische Befreiungsbewegungen im Globalen Süden weitergeleitet wurden. Nachdem Lauesen einige Jahre im Gefängnis verbrachte, fuhr er 1996 nach seiner Entlassung direkt zum „Interkontinentalen Treffen“ der Zapatistas. Er ist bis heute in internationalistischen Zusammenhängen aktiv und schreibt viel. „Die globale Perspektive“ ist eine komprimierte und erstaunlich lesbare Geschichte des globalen Kapitalismus, die die Notwendigkeit des Internationalismus in der antikapitalistischen Bewegung untermauert. mehr

Warum Lesen?

Es gibt kaum eine kompaktere und zugänglichere Einführung in das Thema. „Die globale Perspektive“ fasst die Entwicklung des Kapitalismus als globales Herrschaftssystem zusammen, zeigt aber auch dessen Grenzen und Schwachstellen auf. Manche Ansichten Lauesens – etwa was die geopolitische Rolle Chinas betrifft – werden zu geteilten Meinungen in der Leserschaft führen, doch dem Aufklärungswert des Buches und den damit verbundenen Denkanstößen tut dies keinen Abbruch.

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Die Verdammten dieser Erde

/ 1966 [1961]

Liest sich nicht ganz so leicht wie Ches Tagebuch, ist aber genauso prägend. Frantz Fanon schrieb nicht nur über die Notwendigkeit des Internationalismus im Kampf gegen die Kolonialgesellschaft, er verkörperte diesen auch als Psychiater aus Martinique, der sich im algerischen Befreiungskampf engagierte. Die Frage der Gewalt als politisches Mittel wird hier nicht primär moralisch erläutert („richtig oder falsch?“), sondern psychologisch analysiert („Wie kommt es zu ihr, in welcher Form drückt sie sich aus?“). Als programmatischer Text beeinflusst „Die Verdammten dieser Erde“ antikoloniale Bewegungen bis heute. mehr

Warum Lesen?

„Die Verdammten dieser Erde“ ist ein essentieller Beitrag zu internationalistischer Politik und Debatte, dessen Rezeptionsgeschichte noch lange nicht beendet ist.

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Bolivianisches Tagebuch

/ 1968

Ein weiterer Klassiker, und auch dieser fängt den Geist einer Epoche ein. Die Revolution in Kuba war für den Argentinier Che nur der Anfang. Die ganze Welt sollte vom Joch des Imperialismus befreit werden, und so begab er sich nach Reisen, die ihn bis nach Algerien und in den Kongo geführt hatten, mit Getreuen nach Bolivien. Die Wahl erwies sich im Nachhinein nicht als ideal. Der Versuch, eine revolutionäre Bewegung aufzubauen, scheiterte, Che wurde ermordet. Das Tagebuch, das er während seiner Zeit in Bolivien verfasste, legt jedoch Zeugnis von dem Glauben und dem Willen ab, die Weltrevolution mithilfe der nationalen Befreiungskämpfe im Globalen Süden vorzubereiten. Sich im Nachhinein über die Niederlage zu mokieren, ist billig, doch so funktioniert der Zynismus der – vorläufigen – historischen Gewinner*innen. mehr

Warum Lesen?

In den 1960er Jahren wimmelte es in der damals so genannten Dritten Welt an nationalen Befreiungsbewegungen mit sozialistischem Anspruch. Praktischer Internationalismus war an der Tagesordnung, Che Guevara seine Ikone. Das „Bolivianische Tagebuch“ ist Ausdruck dieser Zeit und liest sich bis heute fabelhaft.

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Mein Katalonien

/ 1964 [1938]

Erst spät auf Deutsch erschienen, ist George Orwells Huldigung an die republikanischen Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg das berühmteste literarische Zeugnis eines der großen Momente der internationalistischen Geschichte. Tausende von Anarchist*innen, Syndikalist*innen und Kommunist*innen begaben sich 1936 nach Spanien, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Genauso tragisch wie die schlussendliche Niederlage waren die internen Feindseligkeiten, die unter anderem zu dieser führten. Über Orwells politische Schlussfolgerungen lässt sich diskutieren, und dem Werk fehlt es nicht an romantischen Zügen, doch als mit feiner Feder verfasster Augenzeugenbericht dieser großen Epoche des Internationalismus ist es unübertroffen. mehr

Warum Lesen?

Ohne Blick auf den Spanischen Bürgerkrieg ist keine Geschichte des Internationalismus komplett. Dieser Klassiker verdient noch viele weitere Generationen an Leser*innen.

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Reisende der Weltrevolution

/ 2020

Wenn jahrelange Forschung in einem solchen Buch endet, war sie es wert. „Reisende der Weltrevolution“ ist großartig: soziologische Studie, Reisebericht, Politgeschichte, alles in einem. Brigitte Studer lehrt in Bern, die Schweizer Nüchternheit schadet dem Werk nicht. Die Geschichte, die es schildert, ist fesselnd genug, aufgesetzte Dramatik würde nur stören. Kader der Kommunistischen Internationale (Komintern) reisen mit bescheidenen Mitteln von Kontinent zu Kontinent, um der Weltrevolution den Weg zu bahnen. Und nein, es sind nicht nur missionarische Europäer*innen in linkem Gewand. Im Herzen der Komintern agieren Genoss*innen aus Asien, Afrika und den Amerikas. mehr

Warum Lesen?

Während sich die Sozialdemokratie in den 1920er Jahren auf die parlamentarische Machtergreifung im Nationalstaat konzentriert, verfolgt die Komintern das ursprüngliche Ziel der sozialistischen Bewegung: die globale Machtergreifung der Arbeiterklasse, die Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Keine Geschichte des Internationalismus ist ohne dieses Kapitel komplett.

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Die Gefährten

/ 1932

Möglicherweise das erste Buch, das es in zwei Listen des Literaturforums im Brecht-Haus schafft, denn auch in „Soziale Kämpfe in Westberlin und Westeuropa“ ist es vertreten. Ich sage: Hier passt es noch besser! Anna Seghers liefert nämlich mit „Die Gefährten“ die kommunistische Lösung für die in B. Travens „Totenschiff“ aufgeworfene Problematik der menschlichen Isolation. Dieser ist nur mit kollektiver Kraft und Organisierung beizukommen. Die Protagonist*innen des Romans sind Arbeiter*innen aus den verschiedensten Ländern, auch die Schauplätze sind weit verstreut. Gewissermaßen ein Vorreiter der heute gehypten Episodenfilme. mehr

Warum Lesen?

Weltweit als „internationalistischer Roman“ gefeiert, darf dieses große Buch der Weltliteratur der vorliegenden Liste nicht fehlen.

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Gelebtes Leben

/ 1978 [1931]

Die Anarchistin und Frauenrechtlerin Emma Goldman wurde 1869 im Russischen Kaiserreich geboren und verstarb 1940 in Kanada. Ihr Leben war von einem Hin und Her zwischen Europa und Nordamerika geprägt. Als unermüdliche Agitatorin begab sie sich auf zahlreiche Vortragsreisen und unterstützte Streiks und Protestaktionen an vielerlei Orten. 1919 wurde sie gemeinsam mit anderen Anarchist*innen aus den USA ausgewiesen und begab sich nach Russland. Sie verließ das Land nach wenigen Jahren wieder als entschiedene Gegnerin des bolschewistischen Autoritarismus. Ihre umfangreiche Autobiografie erschien im Laufe der Jahrzehnte in verschiedenen Ausgaben. Der Karin Kramer Verlag besorgte 1978 die erste Ausgabe auf Deutsch in drei Bänden. Die jüngste deutschsprachige Ausgabe präsentierte der Nautilus Verlag 2014 mit satten 928 Seiten. mehr

Warum Lesen?

Praktisch alle Biografien früher Sozialist*innen sind von hoher Mobilität geprägt. Staatsgrenzen bedeuteten diesen Revolutionär*innen wenig, Internationalismus wurde nicht als Anspruch vor sich hergetragen, sondern gelebt. Goldmans Autobiografie ist ein Paradebeispiel und an Lesevergnügen schwer zu überbieten. Trotz der vielen Seiten vergeht die Zeit wie im Fluge.

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Die Internationale

/ 1911 [1871]

Ein Liedtext? Genrevielfalt, und zur Einführung in diese Liste quasi unabdingbar, außerdem schnell gelesen. Der Bierbrauer und Gewerkschafter Emil Luckhardt übersetzte 1911 – sehr frei – die ersten beiden Strophen des 1871 vom Pariser Dichter und Kommunarden Eugène Pottier verfassten berühmtesten Kampfliedes der Arbeiterbewegung ins Deutsche. Das Lied huldigt der 1864 gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation, besser bekannt als „Erste Internationale“. „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht“ darf als poetische Variation auf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ gelten. mehr

Warum Lesen?

Eigentlich wird der Text am besten zur Musik des belgisch-französischen Liedermachers Pierre Degeyter gehört, der Pottiers Text 1888 vertonte. Literarisch kein Brüller, stimmungsmäßig dafür umso mehr. Hier wird der Ton für die weitere Lektüre angegeben.

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