#Epidemie
New York Ghost
/ 2021Langeweile
Candace Chen ist eine second generation Chinese American in ihren Zwanzigern, die in New York für einen Bücherverlag in der Koordination und Logistik arbeitet – wobei sie in der Bibelabteilung angestellt ist, die abhängig von den Wünschen der Kunden unterschiedlich teure, komplexe, und mehr oder weniger verzierte Bibel-Sondereditionen produziert. Candace koordiniert die supply chains, die Lieferketten unserer globalisierten Wirtschaftsordnung, dieser Bibelproduktion. Die »Daily Grace Bibel« zum Beispiel (»an everyday Bible for casual use«) wird in Shenzhen in China produziert, nach Hong Kong transportiert, von da per Schiff nach Los Angeles, per Zug nach Texas, und von dort aus per LKW zu den Einzelhändlern. Entlang dieser Lieferketten verbreitet sich nun von Shenzhen aus ein Virus, der im Verlaufe des Buches zum zivilisatorischen Kollaps Amerikas führt. Infizierte Menschen agieren dabei ähnlich lethargisch wie Zombies, und verfallen in kompulsiv wiederholte Routinen – immer wieder decken Sie beispielsweise den Esstisch, essen eine Portion nichts, räumen den Tisch wieder ab, und fangen das ganze von vorne an. Die Gefühlswelt von Candace ist vor, während, und nach dem Zombie-Weltuntergang aber eigentlich immer gleich: vage unzufrieden mit ihrer Beziehung, ihren Freunden, und ihrer Familie. Tendenziell ist sie am wenigsten unglücklich, wenn sie sich ihrer ganz und gar unleidenschaftlichen Arbeit in der Bibellogistik widmen kann. Das Buch erhielt 2018 zahlreiche Preise, und erfuhr 2020 im Verlauf der Coronapandemie ähnlich wie Albert Camus’ Die Pest eine erneute Popularität – obwohl die Pandemie in New York Ghost primär die Form einer Zombieapokalypse annimmt. Durch die gefühlte Langsamkeit der Erzählung lässt sich der Roman aber auch gut im Kontext des Klimawandels lesen.
Warum Lesen?
Es geht im Buch viel um Nostalgie, Routinen, zwanghafte Wiederholungen – und um Langeweile. Ma hat in Interviews erklärt, dass ihr während ihres Schreibstudiums nahegelegt wurde, doch am besten einen von ihren eigenen Lebenserfahrungen informierten »traditionellen Immigrationsroman« zu schreiben. Weil ihr das abgedroschen schien, verband sie das ganze mit einer den Filmen George Romeros angelehnten Zombiegeschichte, was super funktioniert. Aber am besten sind ironischerweise vielleicht die Abschnitte des Romans, die sich mit Candaces ganz und gar eintöniger Arbeit im Supply-Chain-Management widmen: Wenn eine Katastrophe sich so langsam entwickelt, dass man erstmal weiterhin zur Arbeit muss, dann fühlt man mitunter wohl nicht nur Verzweiflung und Trauer, sondern auch Langeweile und Desinteresse oder eben auch: garnichts, eine innere Leere.