»Vielleicht Esther«

/ 2014

 

Mit ihrem Debüt hat die 1970 in Kiew geborene Autorin ein faszinierendes Kaleidoskop autobiografischer Geschichten vorgelegt. Es handelt sich um ein Buch über den Versuch einer Rückkehr wie auch über das Reisen und Suchen in den Trümmerfeldern der eigenen jüdisch-ukrainischen Familiengeschichte. Die Nachverfolgung der weit verteilten Spuren dieser Geschichte führt die Erzählerin nicht nur in ihre Heimatstadt Kiew, in der auch die titelgebende – und auf dem Bachmann-Wettbewerb 2014 preisgekrönte – Episode über ihre von den Nazis ermordete jüdische Großmutter situiert ist, sondern ebenso nach Berlin, Warschau, Moskau, Odessa und Mauthausen. Petrowskaja hat ein sehr persönliches Buch geschrieben, doch finden sich darin auch allgemeine Erfahrungen, etwa der Recherche in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, in höchst einprägsamer Weise dargestellt. Vor allem aber ist es ein Buch über den Zauber der Vermischung von Sprachen, insofern sich die Erzählerin immer wieder von sehr subjektiven Assoziationen russischer, ukrainische, griechischer und deutscher Begrifflichkeiten leiten lässt und hierbei in nachgerade zauberhafter Weise neue Formen des Sagens und Beschreibens findet.

Warum lesen?

Weil die Vielfalt der Zusammenhänge, Orte und Perspektiven, die Petrowskaja in ihrem Erstling zusammengefügt hat, immer wieder neue Lektürewege ermöglicht. Dies gilt gerade auch für ihre Sicht auf die Ukraine und Russland, die heute, in Zeiten eines weiteren erbitterten Krieges, eine Differenzierung des Blicks ermöglicht, wie sie im allgemeinen Schwarzweiß der Kriegsberichterstattung allzu schnell verloren zu gehen droht.

[Andree Michaelis-König]

Auf der Liste: 3G

Literatur der dritten Generation