Literatur nach 1989

Von Sebastian Schweer

Diese Liste soll als Leseanregung oder Recherchehilfe zum Thema Antifaschismus in der Literatur nach 1989 fungieren und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ein weiterer Text, der im weitesten Sinne diesem Themenfeld zugeschlagen werden kann ist Cihan Acars Hawaii. Hier gibt es eine großangelegte Auseinandersetzung zwischen Rechtsradikalen und migrantischen, straff organisierten Kämpfern, die allerdings dem Milieu der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. Die Auseinandersetzung eskaliert derart, dass in ganz Heilbronn bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Auch in Dietmar Daths Deutsche Demokratische Rechnung wird eine Figur auf der Fahrt zu einem antifaschistischen Konzert von Neonazis ermordet, seine Freundin wird verletzt.

Nichts bleibt. Die Quetschenpaua-Autonomografie

Seine Lieder sind vielen ein Begriff; der Musiker und Kleinkünstler Yok aka. Quetschenpaua hat die linksautonome Szene seit Jahrzehnten mit verschiedenen Projekten musikalisch begleitet. In seinem autobiografischen Text führt der Erzähler die Leser*innen durch seine politische Sozialisation und zahlreichen Musikprojekte. Dabei lässt sich en passant einiges über die Geschichte der bundesdeutschen linksautonomen Szene erfahren. Erfolge und Niederlagen, etwa die Pogrome in Rostock Lichtenhagen und das Erstarken des Rechtsextremismus in den 1990er Jahren, werden anekdotenreich aus einer ‚Insiderperspektive‘ geschildert und reflektiert. mehr

Warum lesen?

Im Text lässt sich nicht nur einiges über den Künstler Yok und die Subkultur der BRD erfahren, sondern hier werden auch die Probleme und Erfahrungen antifaschistischer Mobilisierung kenntnisreich verhandelt und reflektiert.

Friss und stirb trotzdem

Der junge Ich-Erzähler ist Teil einer Gruppe zumeist migrantischer Antifaschist*innen die sich in den frühen 90er Jahren dem grassierenden Rassismus entgegenstellen – und das ist ganz wörtlich zu verstehen. Sie fahren in die Städte, in denen es Pogrome gab, um sich den rassistischen Pöbel vorzuknüpfen. Alles ändert sich jedoch, als Teile der Gruppe einen rechten politischen Kader in Neukölln attackieren – mit tödlichem Ausgang. Auch der Ich-Erzähler muss untertauchen. Versteckt bei unbekannten, aber solidarischen Genoss*innen denkt er über die vergangenen Aktionen nach. mehr

Warum lesen?

Ein beklemmender, auf wahren Begebenheiten basierender Roman über die frühen neunziger Jahre in Berlin, die Probleme politischer Organisierung, Gewalt und Solidarität.

Ministerium der Träume

Nach der Flucht aus dem Iran wächst die Ich-Erzählerin Nasrin mit ihrer Schwester Nushin im Deutschland der 1980er und 90er Jahre auf und sie erleben den Alltagsrassismus ebenso wie die Botschaftsverbrechen des erstarkenden Neonazismus und Rechtsterrorismus. Sie bilden eine antifaschistische Gruppe, trainieren Kampfsport und schulen sich theoretisch. Die Begegnungen mit Neonazis und die antifaschistischen Aktionen sind nicht der primäre Gegenstand, sondern fungieren vielmehr als das unbehagliche Hintergrundrauschen des Romans, der den Antifaschismus aus einer migrantischen Warte perspektiviert. Verlorene und wiedergefundene Freundschaften, migrantisches und queeres Leben in Berlin wie in der Provinz, Familienkonflikte, sowie die Frage nach der Verantwortung, sowohl innerhalb der (Wahl-)Familie als auch für gesellschaftliche Zu- bzw. Missstände werden im Roman verhandelt. Strukturiert wird dieser durch die bohrende Frage nach dem Grund für den tödlichen Unfall von Nushin. War es Mord, Selbstmord oder bloß ein Zufall? Für alle Figuren ist es selbstverständlich, dass sich sowohl bei der Aufklärung Todesumstände als auch bei der Bekämpfung rechter Umtriebe nicht auf die staatlichen Sicherheitsorgane verlassen werden kann.  mehr

Warum lesen

Der Roman gewährt einen erhellenden und alternativen Blick auf die deutschen Zustände, schildert die Wut und Verzweiflung angesichts einer diskriminierenden und häufig gefährlichen Umwelt und macht eher nebenbei deutlich, dass Antifaschismus überlebenswichtig ist.

Begrabt mein Herz am Heinrichplatz

Die Hauptfigur Paul führt die Leser*in durch das Berlin der Hausbesetzer*innen und Autonomen in den 1980er und 1990er Jahren und fokussiert zumeist auf die militanten Auseinandersetzungen. mehr

Hier ist Paul stets mit dabei und durch seine Warte erleben die Lesenden die kleinen Freuden und Triumpfe aber auch die großen Niederlagen der Autonomen im Kampf mit der Polizei, bei der Verteidigung von besetzten Häusern (beispielsweise die berühmte Schlacht um die Mainzer Straße in Friedrichshain) und im Kampf gegen Neonazis. Die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen stürzen Paul in eine Krise: Weshalb war es den Antifaschist*innen nicht gelungen, dem Mob etwas entgegenzusetzen?

Warum lesen

Der Roman ist in seiner ungebrochen affirmativen Verhandlung von autonomer Militanz ein Werk von erinnerungskulturellem Wert, insofern hier eine ‚Geschichte von unten‘ archiviert und mit ihren Problemen und inneren Widersprüchen ausgestellt wird.

Die Operation 1653. Stay rude – stay rebell

Bernd Langer gründete in den 1980er Jahren die Initiative Kunst und Kampf (KuK), auf die das heute verwendete aktualisierte Antifa-Symbol mit einer schwarzen und einer roten Fahne zurückgeht. In den 1990ern war er Gründungsmitglied der Autonomen Antifa (M) in Göttingen und des bundesweiten antifaschistischen Organisationsversuches Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO). mehr

Im Roman folgt der Ich-Erzähler den Anweisungen einer ominösen Organisation, interessant(er) sind die autobiografisch gefärbten Passagen, in denen über die Geschichte der antifaschistischen Aktion reflektiert wird. So erinnert sich der Erzähler an den Kampf gegen Neonazis in all seinen Formen: sowohl in Bündnisarbeit und Agitprop-Aktionen als auch in brutalen körperlichen Auseinandersetzungen. Neben Schlachtengemälden wird auch über die politische Legitimität und die Probleme von Gewalt reflektiert. Der Text ist gespickt von zahlreichen Abbildungen aus der Initiative Kund und Kampf.

Warum lesen

Der Roman vergegenwärtigt die vielfältigen Aktionen, die (vor allem) in Göttingen von der Autonomen Antifa (M) durchgeführt wurden und zeigt das weite Spektrum dessen, was Antifaschismus sein kann.

Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Die Ich-Erzählerin Mimi erzählt eine mitunter herzzerreißende Verfallsgeschichte, in welcher die DDR, der soziale Kitt, die Gebäude, die Infrastruktur und auch die Menschen verfallen. Der an wahre Begebenheiten angelehnte Roman entfaltet das beklemmende Panorama der sogenannten Baseballschlägerjahre in Brandenburg und schildert die Gefahr und Bedrängnis, in der sich alljene befanden, die als ‚anders‘ gelesen wurden. Mimi und ihre Freunde sind den ständigen Attacken der ‚Gorillas‘, Neonazis mit olivgrünen Bomberjacken und Springerstiefeln, ausgesetzt – viele Freunde müssen deshalb ins Krankenhaus und es gibt sogar Tote. Ihr Anführer ist ausgerechnet ein Jugendfreund Mimis, jetzt von allen ‚Hitler‘ genannt. Verzweifelt stellen sich Mimi und ihre Freunde dem Rechtsruck entgegen. Sie organisieren ein Maifest, das von Rechtsradikalen belagert wird und greifen schließlich zu anderen Mitteln.

Warum lesen

Der Roman ist eine eindrückliche Erinnerung sowohl an die mörderischen Nachwendejahre als auch an die Notwendigkeit antifaschistischer Selbstverteidigung.

Infos zu dieser Liste
Erstveröffentlicht: 27.05.2022
Zuletzt aktualisiert: 27.05.2022

Sebastian Schweer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Seminar der Universität Hannover