Thomas Harlan (1929–2010) hat sich Zeit seines Lebens mit den Tätern der Shoah und ihrem Weiterleben in der BRD auseinandergesetzt. Der Workshop widmet sich dem Werk Harlans und den Fragen, die sich aus diesem Werk ergeben: Wie kann eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS aussehen, ohne diese zu ästhetisieren?
Organisation Clemens Böckmann und Chris W. Wilpert
Vom »Vierten Reich« zu »Rosa« und »Heldenfriedhof«
Als Sohn des Regisseurs Veit Harlan wächst Thomas Harlan (1929 – 2010) im engsten Kreis der nationalsozialistischen Elite auf. Diese Erfahrung bleibt Signum seines Lebens und seines künstlerischen Arbeitens. Harlan hat, basierend auf seinen Recherchen in polnischen Archiven, die Täterbiografien in der Bundesrepublik zum Thema seiner Romane »Rosa« (2000) und »Heldenfriedhof« (2006) gemacht. In ihrem Einführungsvortrag schauen Böckmann und Wilpert auf das widersprüchliche und gebrochene Verhältnis von Harlan im Umgang mit seinen eigenen Recherchen: Begonnen als konkrete, politische Aufklärungsarbeit entscheidet sich Harlan sein Material in Literatur zu übersetzen.
Umgang mit NS-Tätern und -Täterinnen im Postnazismus
Moderation Sieglinde Geisel
Michael Farin hat die Romane »Rosa« und »Heldenfriedhof« in Hörspiele übersetzt. Sara Berger rekonstruiert den historischen Hintergrund und die Kriegs- und Nachkriegs-Biografien des im Roman thematisierten Täternetzwerks der Vernichtungslager. Die Diskussionsrunde nimmt das Verhältnis von Literatur und Geschichte, von Fiktion und Historiografie im Werk Harlans in den Blick: Wie geht Harlan mit den historischen Fakten um? Worauf zielt seine künstlerische Verfremdung? Welchen Möglichkeitsraum bietet die Literatur dafür?
Lesung aus »Heldenfriedhof«
Kurze Einführung in den Text von Clemens Böckmann und Chris W. Wilpert
Thomas Harlans Roman »Heldenfriedhof« von 2006 beginnt mit dem Fund von 15 Leichen auf einem Soldatenfriedhof in der Nähe von Triest. Die Toten waren allesamt Täter der »Aktion Reinhardt«, die den Massenmord in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka und zuletzt im Konzentrationslager Risiera di San Sabba organisierten und durchführten. Im Roman bringen sie sich um, als man in der BRD beginnt, sich strafrechtlich für ihre Taten zu interessieren. Während der kollektive Selbstmord Fiktion ist, erzählt der Roman collagenhaft mit Zitaten aus Erinnerungen, Tagebüchern und Protokollen reale Ereignisse. Durch seinen Zusammenprall von historischer Wirklichkeit, fantastischen Verfremdungen und herausfordernder Erzählweise ist »Heldenfriedhof« ein außergewöhnlicher Roman, der in seiner Rezeption in die Nähe von Claude Lanzmanns »Shoah« gerückt wurde.