„Möglichkeitssinn“, Konkurrenz und Optimierung. Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« und die Ökonomisierung des Sozialen (Michael Makropoulos)
„Möglichkeitssinn“, Konkurrenz und Optimierung. Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« und die Ökonomisierung des Sozialen
Seminarleitung: Michael Makropoulos
In der individuellen Fähigkeit zur Selbstverwirklichung sahen bereits die Aufklärer des 18. Jahrhunderts die Autonomie des Subjekts gegen die Zwänge der Tradition begründet. Was man mit großem emanzipatorischen Pathos ‚Freiheit’ genannt hat, ist die Realisierung unverwirklichter Möglichkeiten. Robert Musil hat in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« (1930) dafür den Begriff des „Möglichkeitssinns“ eingeführt: „alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ Das Verhältnis zur Welt und zu sich selbst ist in der modernen Gesellschaft demnach dadurch bestimmt, dass alles prinzipiell kontingent ist, also auch anders sein könnte. Allerdings begründet diese Möglichkeitsoffenheit zugleich eine Situation der strukturellen Konkurrenz, weil jede realisierte Möglichkeit im Wettbewerb mit anderen Möglichkeiten und den Realisierungsansprüchen der Möglichkeiten anderer Mitbewerber*innen steht. Die permanente Überbietung des bisher Erreichten wird zum Prius des Denkens und Handelns – man denkt und handelt gewissermaßen gegen sich selbst und alle anderen. ‚Optimierung’ ist jedoch keine primär ökonomische, sondern eine primär soziale Disposition, die mit der historischen Plausibilität der Möglichkeitsoffenheit in einer Gesellschaft einhergeht. Es geht um die kulturelle Tiefenstruktur des, mit Hegel gesprochen, gesellschaftlichen Zeitalters, also einer historischen Epoche, in der das Soziale zum absoluten Primat allen Lebens wird. Im Anschluss daran hat Michel Foucault den Neoliberalismus als die „Ökonomisierung des Sozialen“ charakterisiert: optimiert werden die Individuen nicht mehr primär ‚von oben’, also durch institutionelle Autoritäten, sondern man optimiert sich selbst, das Selbst wird zur letzten Autorität erhoben — oder in Foucaults Worten, man wird zum „Unternehmer seiner selbst“.
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