„Ich bereite meinen nächsten Irrtum vor...“
Brecht und die Sowjetunion
Bertolt Brechts Beziehung zur Sowjetunion als „ambivalent“ zu bezeichnen, wäre vermutlich untertrieben. Hier offenbart sich eher eine ganze Palette von Widersprüchen, die sich nicht in eine anfängliche Faszination für das kommunistische Projekt und das spätere Entsetzen über den stalinistischen Terror auflösen lassen. In welchem Maße war sein Theaterkonzept von den Experimenten der sowjetischen künstlerischen Avantgarde beeinflusst? Wie existentiell war für den Emigranten Brecht die Hoffnung auf einen Sieg Stalins über Hitler? In welchem Verhältnis standen seine politischen Optionen zu den Aussagen seiner Theaterstücke und Gedichte? Und wie ernstzunehmend waren seine demonstrative Offenheit und die Bereitschaft, aus Irrtümern zu lernen? Im hundertsten Jahr nach der Oktoberrevolution, mit der gehörigen zeitlichen und intellektuellen Distanz, geht es nicht darum, letztgültige Antworten auf derartige Fragen zu finden, sondern unterschiedliche biografische, historische, literaturwissenschaftliche und philosophische Deutungsversuche nebeneinander stehen zu lassen.
Konzeption und Projektleitung: Annette Leo
Unser Foto zu den Brecht-Tagen 2017 zeigt Bertolt Brecht und Sergej Eisenstein, fotografiert von Sergej Tretjakow, Moskau, 1932.
„Oh großer Oktober der Arbeiterklasse!“
Mit Tabitha Frehner, Felix Kammerer und Leander Senghas, Studierende der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“; musikalische Einrichtung und Klavier: Jürgen Beyer
„im faschismus erblickt der sozialismus sein verzerrtes spiegelbild. mit keiner seiner tugenden, aber mit allen seinen lastern.“, notiert Brecht am 19. Juli 1943 nach der „niederdrückenden lektüre von souvarines buch über stalin“ in sein Journal. Diese Notiz markiert den Tiefpunkt seiner Haltung gegenüber der Entwicklung in der Sowjetunion unter der Diktatur des Parteiapparats, der die Diktatur des Proletariats abgelöst hatte. Das Programm zeichnet den literarischen Weg Brechts von den pathetischen Liedern aus „Die Mutter“ über die vorsichtigen Fragen nach dem Schicksal seiner Freunde in den Jahren des Terrors bis zu den späten Gedichten nach Stalins Tod 1953 und den Enthüllungen der darauf folgenden Parteitage der KPdSU nach. Es zeigt aber auch, warum Brecht die Hoffnung auf eine Wiederkehr der „Leninschen Prinzipien“ der Oktober-Revolution bis zu seinem Tod nicht aufgeben wollte.
Anschließendes Gespräch mit Annette Leo, Kerstin Hensel und Holger Teschke.