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Felix Martin Furtwängler „Ajax zum Beispiel – Vom Widerstand des Materials“  (Ausstellungsprojekt)
© Felix Martin Furtwängler

31.10.1531.01.16
Ausstellung

Felix Martin Furtwängler „Ajax zum Beispiel – Vom Widerstand des Materials“ (Ausstellungsprojekt)

Veranstaltungsort: Literaturforum im Brecht-Haus

„In den Buchläden stapeln sich

Die Bestseller Literatur für Idioten

Denen das Fernsehn nicht genügt

Oder das langsamer verblödende Kino

Ich Dinosaurier nicht von Spielberg sitze

Nachdenkend über die Möglichkeit

Eine Tragödie zu schreiben Heilige Einfalt"

 

Mit diesen Zeilen beginnt das Langpoem „Ajax zum Beispiel“, das Heiner Müller 1994, ein Jahr vor seinem Krebs-Tod geschrieben hat. Über mehrere Druckseiten zieht sich seine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, aber auch mit sich selbst als Künstler, seinem aktuellen Scheitern daran, eine Tragödie zu schreiben. Mit der Wende fällt für Heiner Müller der gesellschaftliche Bezugsrahmen weg, aber auch das utopische Moment, das im Staatssozialismus seinen uneinlösbaren Ort in der Zukunft hatte. Die Utopie gehört nun der Vergangenheit an; der Dramatiker findet sich in einer gesellschaftlichen Realität wieder, in der es nicht mehr möglich scheint, mit Literatur eine gesellschaftliche Wirkung zu erzeugen. Der Autor empfindet sich und seine Kunst als gescheitert; die Erzählung ist im Zeitalter der Information, der Werbung und der Medien „geschändet“ und verkauft. In dieser letzten Schaffensphase zieht sich Heiner Müller auf die Position des lyrischen Ichs zurück: Die vielen späten Gedichte, die zum Teil erst im Nachlass gefunden wurden, machen das ganze Format des Lyrikers Müller evident. Der Rückzug ins Gedicht liest sich auch als logische Folge des Verlusts eines sicheren Standpunktes, als Konsequenz des Inhalts in der Form.

 

Im Jahr 2001 habe ich mich mit einem der bekanntesten Gedichte aus Heiner Müllers später Schaffensphase auseinandergesetzt: „Ajax zum Beispiel“ – die Artikulation von Zweifel und Selbstkritik, Schweigen und Scham, ein „ortloser“ Rückblick auf die deutsche Geschichte. Auch wenn der Standpunkt des Gedichts „ortlos“ erscheint, ist der Schauplatz des Schreibens Berlin, die ehemals geteilte Stadt mit ihren beiden Geschwindigkeiten: Beschleunigung im Westen, Verlangsamung im Osten, wie Müller einst meinte. Berlin war seit 1972 auch der Ort meiner künstlerischen Arbeit, ein Ort, an dem mein eigener Standpunkt mir angesichts der Entwicklung seit 1989 immer fremder wurde. Insofern bin ich in „Ajax zum Beispiel“ auch mir selbst begegnet, meinem Widerstand gegen das System eines entfesselten Kapitalismus, der letztlich in Depression mündet. Meine Arbeit basiert immer auf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Material als Strategie einer Verlangsamung. In einer Zeit, in der das geschriebene Wort zunehmend an Substanz verliert, seine Materialität sich im Digitalen aufzulösen droht und global verfügbar ist – jedoch in einer virtuellen Welt, die Kontexte beliebig austauscht – behaupten meine künstlerischen Buchdrucke für jedes einzelne Wort eine individuelle Form und Materialität. Sie sind ein Ausdruck des Versuches, der Auflösung, dem Verschwinden der Worte, der Literatur – durchaus im Sinne Heiner Müllers – Widerstand zu leisten. Damit wollen sie auch ein Stück Utopie und Hoffnung auf die Wirkungsmacht des Schreibens bewahren.

 

Deshalb habe ich das Gedicht als überdimensionale Wandzeitung gestaltet und gedruckt – 24 Bögen im Format 50x120 – die noch niemals öffentlich ausgestellt wurde. Sie besteht aus farbigen Holzschnitten, wobei der Text aus einzelnen geschnittenen Holzbuchstaben "gesetzt" ist.

 

Felix Martin Furtwängler

 



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Biografisches


Felix Martin Furtwängler


1954 geboren in Karlsruhe

1972 Beginn eines Studiums der Werbegraphik an der Kunstschule Alsterdamm in Hamburg

1973/74 Besuch der Schule für Werkkunst und Mode (Hochschule der Künste zu Berlin)

1975/76 Besuch des Studiengangs Produktdesign (Hochschule der Künste zu Berlin)

1977-1982 Studium der freien Malerei und Graphik an der Hochschule der Künste zu Berlin


Werke

seit 1975 entstanden Druckgraphiken in den Werkstätten der Berliner Hochschule;

erste Publikation eines eigenen Handpressedrucks in Zusammenarbeit mit dem Schriftsetzer Siegfried Schäfer

seither entstand eine Vielzahl von Künstlerbüchern und Buchobjekten