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„Eine zwiespältige Freundschaft“
© Irina Rastorgueva

12.02.19
20:00
Vorträge, Diskussion und Publikumsgespräch zum Vortag

„Eine zwiespältige Freundschaft“

Mit Olga Fedianina, Sergej Romashko, Konstantin Uchitel und Thomas Martin
Veranstaltungsort: Literaturforum im Brecht-Haus

Russland – bzw. die Sowjetunion – hat im Leben und im Schaffen Brechts stets eine doppelte Rolle gespielt. Ebenso gespalten war das Brecht-Bild in Russland und ist es noch. Einerseits hat er in seinen Werken die Sowjetunion als Land der Hoffnung beschrieben und benannt, ein Land, in dem eine, nicht nur von ihm erwartete, Weltveränderung einen Anfang nimmt. Wie hoch der Preis für diese Veränderung war, hat er geahnt, doch nicht genau gewusst – nie hat er diesen Preis öffentlich kritisiert. Als Emigrant hat er nie versucht, sich in der „Heimat aller Werktätigen“ niederzulassen. Im Gegenteil. Der Sowjetunion war seine politische Position sehr willkommen, nicht jedoch sein Werk. Die Ästhetik des brechtschen Theaters war mit dem sinnentleerten sozialistischen Realismus nicht vereinbar. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der sozialistische Realismus hinfällig, dabei kamen zwei alt-neue Probleme zum Vorschein. Zum einen war Brecht als Linker nun auch hier suspekt; zum anderen hatten die postsowjetischen Bühnen nach wie vor keinen Zugang zur brechtschen Ästhetik. Des ungeachtet wächst Brechts Popularität im russischen Theater im letzten Jahrzehnt stetig. Olga Fedianina widmet ihren Vortrag "Brecht und Russland: Zwiespältige Vergangenheit, spannende Gegenwart" den widersprüchlichen Tendenzen in der heutigen Brecht-Rezeption in Russland.

 

Seit Brecht diese Welt verlassen hat, erlebte Russland dramatische Umbrüche, die kaum jemand voraussehen konnte. Dabei ist die Zeitdifferenz zwischen Brechts Tod und unseren Leben heute nicht der entscheidende Umstand, der für die Aktualität des Dichters in Moskaus heißer und kalter Hektik noch immer ausschlaggebend ist. Auch die Frage: „Was ist heute wirklich aktuell?“, ist immer wieder neu zu beantworten, und wenn man die Welt nicht ganz flach sehen will (Brechts Galilei war bestimmt kein Flachdenker), dann wäre eine alte chinesische Weisheit vielleicht doch aktueller als das, was die Medien tagtäglich so überheiß aufmachen ... Der Literaturwissenschaftler und Künstler Sergej Romashko stellt in seinem Vortrag "Brecht ging durch Moskau, Moskau geht durch Brecht" Verblendungszusammenhänge von Literatur und Gesellschaft vor und untersucht sie.

 

Anschließend: Publikumsgespräch über die Inszenierung vom Vortag mit dem Regisseur Konstantin Uchitel und Thomas Martin.



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Biographisches:


Olga Fedianina, Übersetzerin, Dramaturgin und Journalistin. Geboren 1966 in Moskau, studierte dort Theaterwissenschaft und machte anschließend ein Aufbaustudium an der Humboldt-Universität zu Berlin (Germanistik). Arbeitete als freie Autorin und Redakteurin in Moskau und Berlin. Seit 2013 Redakteurin und Autorin im Verlagshaus Kommersant Moskau. Sie schreibt über diverse Aspekte der russisch-deutschen Kulturbeziehungen. Dramaturgin (Auswahl): DER PROZESS (nach Kafka, Regie Timofej Kuljabin, Theater Rote Fackel, Nowosibirsk), TARTUFFE (nach Molière, Regie Filipp Grigorjan, Elektrotheater, Moskau), AM KÄLTEPOL (nach Warlam Schalamow, Regie Timofej Kuljabin, Residenztheater, München). Übersetzte ins Russische diverse Theatertexte, darunter Heiner Goebbels’ DIE ÄSTHETIK DER ABWESENHEIT. Sie verfasste zahlreiche Aufsätze über Bertolt Brecht, insbesondere über Brecht-Interpretationen im russischen Theater.


Sergei A. Romashko, geboren 1952 in Moskau. Studium an der Staatlichen Universität Moskau, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften, Professor der Staatlichen Universität Moskau (jetzt emeritiert). Publikationen zu Sprachtheorie, Poetik und Kunsttheorie, Kunstkritik. In den 1970er bis 1980er Jahren Teilnehmer an nicht-offiziellen Kunstaktivitäten in Moskau, Mitglied der Performance Group „Collective Actions“. Werke konkreter Poesie und Kunst, Übersetzungen von philosophischen, ästhetischen und poetischen Texten, hauptsächlich aus dem Deutschen. Als Mitglied von „Collective Actions“ nahm er an mehreren internationalen Ausstellungen teil, u.a. „Out of Actions: Between Performance and the Object, 1949–1979“, MOCA 1998; Biennale in Venedig 2011, russischer Pavillon. Eingeladener Professor an DasArts, Amsterdam (2003) und anderen Institutionen. Als langjähriger Walter-Benjamin-Forscher und Dolmetscher beteiligte er sich an mehreren nationalen und internationalen Projekten, darunter „Benjamin-Handbuch“ (Hrsg. B. Lindner, Frankfurt am Main, 2006). Er ist Mitglied der Moskauer Brecht-Gesellschaft.


Thomas Martin, geboren 1963 in Berlin/Ost, ist Dramaturg, Autor und Herausgeber. Zuletzt: „Alles ist erlaubt. Das Karamasow-Gesetz“, Berlin 2016. Künstlerischer Produktionsleiter der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz 2010-17. Er leitete 2003 die Brecht-Tage „Brecht plusminus Film“ gemeinsam mit Erdmut Wizisla sowie 2006 „Krise und Kritik“ mit Guillaume Paoli.

In Kooperation mit dem Goethe Institiut
Medienpartner: Kulturradio vom rbb